Dienstag, 20. April 2010

Ghostbusters

Woher nimmt sie nur dieses Gespür, Gutmenschliches, Zeitgeistiges trotz oder gerade wegen der bedingungslosen allgemeinen Goutierung zu hinterfragen? In "Recherchegespenst" greift Katrin Röggla den Bereich der NGOs (non governmental organizations) auf, im selben Atemzug das moderne Nomadentum einer Generation von Laptopwarriors, die sich in der Internationalität verliert und das Zurückkommen nicht mehr schafft. Und dazu streift sie noch Journalistentum, die Recherche als solches, Professionalität selbiger. Und neben diesen Schichten ist auch die Umsetzung als Hörspiel mehrschichtig. Ein Hintergrund der Recherche, das Tippsen auf - natürlich - einem Laptop, ein Tonbandgerät mit einem Interview, der zunehmend sich zuspitzende Zwist zwischen (anscheinend) Geschwistern, weil die Story den Bach runter geht. In Röggla´scher Manier erfreue ich mich auch wieder des Konjunktives, der aber diesmal garnicht so kraß hervortritt, auch der Wiederholungen und Variationen. (Ich könnte jetzt nachschauen, ob Recherchegespenst zeitlich vor oder nach Wir schlafen nicht / Worst Case entstanden ist). Im Vergleich mit den beiden genannten Stücken, von denen ich eines gelesen und eines im Theater ("Wir haben eine Röggla-Vergangenheit") erlebt habe, meine ich für mich: für sie ist das Hörspiel noch tauglicher, als die Bühne. Die Umsetzung ihrer Form ist anspruchsvoll genug, da bedarf es keiner Szenerie.
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich auch das NGO Business (!) als ein dreckiges. Hilfe wird zum Selbstzweck, wer nicht genügend Mittel aufbringt und sie verwertet, ist draußen - und in der Abhängigkeit von Medien und Politik sind alle Mittel recht, Akquise und neue Projekte ständig. Hauptsache Demokratieexport (oder doch Neoimperialismus). Bis dann es auftaucht, das Recherchegespenst, wieder ein Dropout des Demokratieexportgewerbes. Und wo sind jetzt die Zinsen für meine Aufmerksamkeitsenergie? Bedarf es denn nur noch der Züchtung einer Escape-goat, und dann via Lounges (airconditioned) und Expatstreffs zum nächsten Ziel. Es sei denn, die Isländer befeuern gerade wieder ihren Vulkan.

Montag, 19. April 2010

Wishful thinking

"Lieber fünf Minuten am Tag genial, als acht Stunden rumhocken."
(fehlt nur noch die Genialität und diejenigen, die sie mir abkaufen. Aber der Rest - Couch im Büro, Vormittagssport, kochen, rasten, Kaffee saufen, Schmäh führen - wäre schon da.)

Sonntag, 4. April 2010

Das Pendel schlägt zurück

"Die Erde rotierte, doch der Ort, wo das Pendel befestigt war, war der einzige Fixpunkt im Universum" (p.11)

Daß ein Pendel zurückschlägt, liegt in der Natur desselben; in meinem Fall hat es das aber wirklich. Vor ziemlich genau 10 Jahren habe ich Das Foucaultsche Pendel (Umberto Eco, 1988) erstmals gelesen und dabei anscheinend nicht viel mitbekommen. Sonst hätte ich nicht der Idee anheim fallen können zu meinen, Das Pendel sei nicht noch besser als Die Rose. Nur muß sich erst einer drauf einlassen.

Worin liegt mein Faszinosum in diesen achthundertirgendwas Seiten? Vermutlich will jeder Leser so sein wie Casaubon, vermutlich auch ich. Und dieses Hineintappen in etwas, das, von völlig harmlosem Ausgang, schließlich ganz und gar außer Kontrolle gerät: nicht daß ich mir so etwas wünschte oder gar anmaßte. Aber! Sich aus Fakten, aus nichts als Fakten etwas zusammenzimmern, sie neu anordnen, mit ihnen jonglieren, sie mißbrauchen, sie drehen, wenden, zusammensetzen, bis es paßt als Puzzlestein in den Großen Plan. Geht es dann doch nicht weiter, vertraut man dem Computer, dem lieben Abulafia, oder Bergen an Manuskripten entsprechend verrückter Hermetiker oder Illuminaten. Ganz am Ende werden die Konstruktionsregeln geoffenbart (p.796f), demnach (i) werden die Begriffe per Analogie verbunden, in Folge (ii) verifiziert, indem sich die Kette schließt (z.B. Kartoffel-Apfel-Schlange-Kringel-Rettungsring-Badeanzug-Meer-Schiff-Shit-Droge-Spritze-Loch-Boden-Acker-Kartoffel) und dabei ist (iii) zu beachten, daß die Verbindungen eben nicht zu originell sein dürfen, sondern zumindest ein mal, besser mehrmals von anderen so getan.

Das Buch ist ja von Deckel zu Deckel voll gespickt von direkt benannten Zitaten und noch viel mehr weniger bis nicht direkt benannten Verweisen, nicht nur zu Büchern: "Wie schwer ist es, ein Versteck [im Conservatoire Saint-Martin-des-Champs] zu finden, wenn die Verstecke Bilder einer Ausstellung sind." (p.19) Vielleicht ist es die Freude, hie und da so einen Verweis zu entschlüsseln, sich fast im Augenblick zu fühlen, wie einer der drei Lektoren. Nur eben ganz klein.

Gerade in Zeiten, wo man nichts mehr weiß und stattdessen alles Google zu entlocken meint; selten gebe ich Neid zu, aber an dieser Stelle... "Ich beschloß, mir einen Beruf zu erfinden: mir war aufgefallen, daß ich viele Dinge wußte, die alle zusammenhanglos nebeneinander standen, aber die ich in wenigen Stunden durch ein paar Bibliotheksbesuche ganz gut miteinander verbinden konnte" (p.291), und so erfindet er seine Agentur für Bildungsauskünfte. Casaubon bastelt sich natürlich einen Karteikasten, wo wir gleich bei "Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt" (Eco, 1977) sind, wo der Autor das eben genannte den angehenden Verfassern der Laurea rät.

Vielleicht faszinieren mich an diesem Buch auch die vielen Fundstellen, Weisheiten, die Atmosphäre in Pilades Bar, die Logik des Geheimbundes: je mehr man etwas abstreitet, desto mehr wird es für wahr gehalten und dessen Persiflage: "Ich habe mir aus Frankreich das Adreßbuch aller zur Zeit in der Welt existierenden Geheimgesellschaften kommen lassen" (p.343). Oder ist es Lorenza am Flipper? Oder dann doch die Dialoge. Oder ist es der arme Belbo, alles was er mitmachen mußte, alles wegen dem Baryton und dann doch sein Triumph post mortem aus dem verstaubten Schrank im Piemont.

Was für ein Buch! Und so schreiben die drei Verlagslektoren die Weltgeschichte neu, erklären von den Kreuzzügen bis zum Holocaust alles. "Der Plan ist wahr." (p.34)