Samstag, 31. Oktober 2009

Gute Werbung von Mercedes

Drifte ich ab ins Gutmenschenreich? Aber die schon seit langem regelmäßig auf der Titelseitung meiner Zeitung abgedruckte Mercedes-Benz Werbung (immer ein grauer Kasten) gefällt mir außerordentlich gut. Sie packen mich mit dem alten Schmäh, daß man die sich selbst verabreichte Belohnung, den Schmäh verstanden zu haben, positiv mit dem Produkt bzw. der Marke verbindet. Was denen nicht schon alles eingefallen ist! Und diesmal! Wirklich gut!

"Oma und die Brother-
stellung."

So der Titel. BROHTERstellung? Oder doch eher Brot-Herstellung! Das zieht sich dann ähnlich durch den Text (immer wieder falsch abgeteilt und dadurch einen anderen, witzigen (Irr-) Sinn produziert, etwa "URIN-stinkt" für Ur-Instinkt"). Und zum Schluß wird auf das Easy-Vario-Plus System verwiesen, das man abteilen kann, wie man will, so wie die Worte im Text abgeteilt wurden... Gefällt mir.

Samstag, 17. Oktober 2009

Wer schläft schon?

der durchschnittliche: natürlich sei seine erwartungshaltung eine andere gewesen, als er begann, kahtrin rögglas "wir schlafen nicht" zu lesen. natürlich, eine andere haltung, die sich da offenbarte. ja, infofetzen hätte er schon aufgeschnappt, und daher rechnete er eher mit einem prosaischeren werk. ein werk, das sich kritisch der thematik annähere. wobei er sich frage, was wisse man über die thematik nach zweihunderzwanzig seiten? arbeit sei das thema, arbeit im einundzwanzigsten jahrhundert, arbeit von arbeitssüchtigen, die nichts anderes mehr können, denen das abschalten des stresses mehr streß ist, als der streß zuvor. man komme nicht mehr runter. ihm komme es schon so vor, als sei das buch viel mehr kunst als dokumentation oder roman. aus zig interviews haben die keine große handlung gestrickt, vielmehr einen unkonkreten anstieg hin zu einem finale - einem finale, das eben aber auch wiederum nur aus brocken zusammenhält. erst als er das erkannt hatte, legte er sich eine geeignete lesart zu, die rögglas buch gerecht sei, mit blick auf die form.

der blick auf die form, ja, irgendwie komme die daher, dilletantisch gesprochen, wie eine a-a'-b form - kennen sie das? - wo es variierte wiederholungen (quasi die steigerung des a-teiles) gibt und dann einen b-teil, eine art abschluß, meist gekennzeichnet durch vorangestellte "-" stricherl. auch an die erzählweise aus der dritten person, stets im konjunktiv, gewöhne man sich, sagt er. und die insiderbegriffe und floskeln - hat hier jemand 'weißweinschorle' gehört? - kommen dosiert, nicht überfrachtet, auch sehr gut rüber. für ihn jedenfalls, etwa "er habe auch nicht die schwerkraft dieser branche gemacht" oder "klitsche".

- und wen hört er bei letzterem Begriff durchaus auch manchmal den beraterslang reden?
- genau. woher kommt ihm das alles aus dem echten leben bekannt vor?
- wer ist jetzt der wahre mckinsey king?

der schmähtandler: das sei natürlich klar, er habe ja keine literaturvergangenheit, keine sprachwissenschaftsvergangenheit. so mußte es kommen, daß er sich an den (nicht annhäernd erschöpfend, wie er meint, ausgeführten) einzelthemen delektierte. was war da so, die verschiedenen, mehr oder weniger brauchbaren, "vergangenheiten". oder arbeitszeit: "Wenn man um 18 uhr geht, kommt üblicherweise der spruch: ob man sich einen halben tag frei genommen hätte". "harte bwl", oder mckinseys "kinderkreuzzug". und dann die vielen Sekteinlagen, für die es immer gründe zu finden gibt.

- ihm komme das jetzt bekannt vor
- daß man ein wenig drinnen (andere mehr) sei in dieser welt, dabei ertappe er sich ja durchaus auch
- er meint als fazit: ganz gut in der richtigen lesart.

Dienstag, 13. Oktober 2009

F***ing Brudge

Selten genug, daß ich heutzutage noch (für mich) gute Filme zu Gesicht bekomme. Aber dann doch wieder. Was machen zwei Killer in Brügge? Und wo zum Teufel ist Brügge?
"Brügge sehen... und sterben?" hat den erfrischenden Plot einer Killergeschichte, die nur so strotzt vor schwarzem Humor.
Was ich an der Handlung so gut finde, ist, daß der Zuschauer in einem fort in die Irre geführt wird. Abgebrüht, wie man nach 100.000 Fernsehmorden nun mal ist, nach zahllosen Aufführungen der Abteilung Thriller&Killer Co.KG, versucht man immer und immer, die mögliche Fortführung der Handlung zu erraten. Ein probates Mittelchen scheint, einfach eine ausreichende Zahl an Figuren einzuführen, ohne zu offenbaren, welche Bedeutung sie haben werden. Ich erinnere mich da an From dusk ´till dawn, wo im ersten Teil der Handlung ein knallharter Bulle (Gendarm würde man hierzulande sagen) auftaucht, den man gleich zugestehen würde: das wird der Showdown, Bulle gegen George Clooney, dessen Filmbruder ersterer ja soeben umgenietet hat - und der aber dann ohne lang Herumfackelns umgenietet wird und ausscheidet. Harry, der Obermacker der Killer AG, tritt z.B. erst recht spät auf, man meinte eingangs überhaupt, ihn nur als Telefonstimme kennengelernt zu haben werden. Im Finale überschlägt sich dann alles, und die Optionen multiplizieren sich. Der langen Rede kurzer Sinn: den Schluß errät man nie.
Auch zum Umfallen: die Dialoge. Dem Rat gefolgt, wählte ich als Sprache und Untertitel Englisch (ein so schlechtes Englisch wie das meine vorausgesetzt, reicht die Sprache niemals, um auch nur ein Drittel der Pointen zu kapieren). Ob Brügge, ob das Date von Ray, ob das Telefonat Ken mit Harry, ob die Drogenparty - einfach köstlich, und spätestens jetzt wissen wir den Unterschied zwischen midget und dwarf!
"fuck, man, mayby that´s what hell is
the entire rest of eternity spent in fucking Brugde"

Sonntag, 11. Oktober 2009

"Ich muß krank sein, wahnsinnig!"

"Ich muß krank sein, wahnsinnig!" Hier überlief ihn ein Schauer, denn dieses Wort empfand sich angenehm pathetisch. "Wahnsinnig, - oder was ist es sonst, daß mich Dinge befremden, die den anderen alltäglich erscheinen?"
So also ein Zitat, mit der ich meine Laieneindrücke zu einem Buch eröffnen will, das sich mir so garnicht einfach erschlossen hat, keine leichte Lektüre, möchte ich für mich konstantieren: Robert Musils 'Die Verwirrungen des Zöglings Törleß'. Einerseits ist da die Internatsgeschichte um Törleß, Beineberg, Reiting und Basini, andererseits aber das fein abgestufte Psychogramm der Törleß'schen Verwirrungen.

Selbst war man ja auch in jungen Jahren in einem Internat und kennt so manche Spielregeln daraus, wenngleich es so arg dann auch nicht zuging bei uns. Aber die unterschiedlichen Rollen, wenngleich natürlich nicht so stereotyp wie hier, gab es wohl auch. Im Buch haben wir den Groben, Brutalen, den Redlsführer (Reiting), dann den Intriganten, der Leute stets gegeneinander ausspielt (Beineberg) mit seinem Glauben, das Geistige, Übersinnliche für seine Zwecke einsetzen zu können. Basini, den Prügelknaben. Dann etwa den "Fürsten H." und natürlich den Sonderfall Törleß.

Eigentlich würde es das Buch ja verdienen, ganz langsam gelesen zu werden, rezitiert quasi, sodaß man den Verwirrungen habhaft werden, sie entwirren oder zumindest im Ansatz verstehen könnte. Aber das schaffte ich nicht. Also greife ich ein paar Momente heraus, die mich angesprochen haben. Da natürlich das eingangs erwähnte Zitat zuerst. Dieses phänomenologische Sich-wundern über Dinge, Verhaltensweisen, Tatsachen, Realitäten, die andere nicht nur akzeptieren, sondern auch nie im Ansatz hinterfragt haben, scheint mir für mich gar reizvoll. Ich brüskiere mich unbescheiden und schicke also meinen Gutmensch vor.

Mögen tue ich auch diese Assoziationsketten, im Gras am Rücken liegend, die Wolken betrachten, Blätter im Wind rascheln hörend, gerade so, als hätte Törleß einen weiteren Sinn, mit dem er sprunghaft Verbindungen herstellt, aber auch die Seele fühlt, dann aber das Versagen der Worte feststellt, diese Gedanken greifbar zu machen, sie festzuhalten "...daß die Worte nur zufällige Ausflüchte für das Empfundene [seien]". Und da fällt mir der unlängst gehörte Ausspruch ein "Mein Kopf ist so voll, daß ich es nicht schaffe, diese Fülle an Gedanken geordnet rauszulassen und zu Papier zu bringen." Daß sich dann der Kreis schließt über die imaginären Zahlen als mathematisches Sinnbild für eine Denkhilfe, eine Brücke, die Anfang und Ende hat, selbst aber nicht erklärbar ist und trotzdem trägt, als Analogon der dunklen Flecken, des Nichts zwischen zwei Gedanken: das ist jetzt meine Interpretation. (Anders sage ich bekanntlich immer gern: ich müsse ja nicht alles verstehen, nicht alles erklären können - ein Geschenk des Alters, würde ich meinen)

Viel mehr gäbe die Musil'sche Selbstfindung des jungen Menschen her, ich möchte noch zwei Aspekte herausgreifen.
"Aber es ging nicht. Wie immer, wenn er sich etwas allzu sorgfältig vorher ausdachte. Es war zu wenig unvermittelt und die Stimmung erlahmte rasch zu einer zähen, breiigen Langeweile, die sich ekelig an jeden der viel zu absichtlich immer wieder erneuten Versuche klebte"
Wie schön er doch das trifft, was ich mir so oft denke: einer malte sich ein Ereignis, z.B. einen Abend mit dieser oder jener Person aus, tagträumt sich eine Stimmung herbei, vielleicht einen Ablauf, entwickelt Vorstellungen. Doch dann! Es geht nicht auf, es bleibt genau wie oben beschrieben. (Und glücklich sind wir, erleben wir die Umkehrung, wo wir mit keinen Erwartungen aufs Angenehmste überrascht wurden)

Eine Erniedrigung: vergeht "Aber etwas von ihr blieb für immer zurück: jene kleine Menge Giftes, die nötig ist, um der Seele die allzu sichere und beruhigende Gesundheit zu nehmen und ihr dafür eine feinere, zugeschärfte, verstehende zu geben"
Vielleicht meint es das, wenn mit zunehmender Erfahrung einer meint, er sei bereits in dieser oder jener Hinsicht "abgebrüht". Bedarf es Niederungen, um zu verstehen? Ich meine: ja. Und das nicht nur gemessen an der Anzahl an Niederungen, durch die ichselbst mußte - und das keinesfalls mit Blick auf "weswegen Jünglinge mit großer Zukunft meist eine an Demütigungen reiche Vergangenheit besitzen". Nicht wegen der fehlenden Demütigungen, aber die Zukunft.

Schließen möchte ich meine Gedanken mit einer, wie ich meine, tröstlichen Botschaft, wonach Denken nicht ausreiche, um "hinüberzukommen" zu Gewißheit - vielleicht zur Hälfte, der Rest muß aus dem Inneren kommen, aus der Seele. Ist ein schönes Gefühl: was wir nicht verstehen, überantworten wir vertrauensvoll der Seele.


Post script: Ein Satz, der mir formale Schönheit bedeutet hier zum Nachlesen (Ihr wißt um mein Faible für nachgereihte Satzteile): "Staubflocken leuchteten auf und ein kleines häßliches Spinnengewebe."