Sonntag, 3. Mai 2020

Die Rennaisance der Romantik

Wenn man jemanden fragt, was "romantisch" im geistesgeschichtlichen Sinne meint, kann man als Antwort kriegen: "So wie es in den Romanen ist", romanhaft. Das gibt dann vorerst relativ wenig her. Mir ist jetzt eine Klärung untergekommen; romantisch könnte man das Verhalten, die Psyche, die Gefühlswelt von Maria Stuart in Stefan Zweigs Buch (auch ein Roman!) nennen. Frau Stuart, die schottische Königin, handelt oft vorschnell, oft "unlogisch" und dem ersten Gefühl nachgebend, während Elisabeth I. bedacht, überlegt und vorsichtig, oftmals auch unsicher (Kapitel "Elisabeth gegen Elisabeth") ist. Gewonnen hat zumindest formell (länger gelebt, Macht erhalten) Elisabeth. Ihre Epoche war auch der Auftakt zu rational-wissenschaftlichem Handeln, was zu unerhörtem Fortschritt führte - und die fortschrittlichsten Nationen haben inzwischen die weniger fortschrittlichen unterjocht. Man kann sagen, dass Fortschritt (technisch insbesondere) mit Wohlstand gleichzusetzen ist. Romantisches Verhalten, ritterliches, nicht durchkalkuliertes hat sich als zweite Wahl herausgestellt. Aber zwei Dinge sind schon interessant. Nehmen wir Personen wie Steve Jobs her, der Apple zu einem wichtigen Teil zu dem gemacht hat, was es ist. War er so erfolgreich, weil er nur rationell entscheidete? Handelte er vielleicht auch an wichtigen Stellen "romantisch" im Sinne Maria Stuarts? Ist es diese gezielte Verunreinigung von straight-forward Denken, das die Ausnahmetalente von braven, aber phantasielosen Experten unterscheidet? Ist es vielleicht ein bißchen weniger technokratisches Denken, das nötig wäre, um die Herausforderungen der Gegenwart zu meistern. Phantasie und nicht nur Logik, orthogonales Denken und nicht nur lineare Weiterentwicklung, das wäre gefragt, vielleicht auch wieder Bauchgefühl und Intuition als Ratgeber zulassen (schlechter als so manche "expertengestützte" Entscheidungen von Politikern kann es auch nicht immer sein). Elisabeth mag gewonnen haben, aber vielleicht brauchen wir jetzt eine Renaissance von Romantik, Mut zum Ungewissen.

Stefan Zweig: Maria Stuart.
Sz-Bibl.Band 57

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen