Montag, 28. Dezember 2009

Blood, Sex and Stethoscope

Samuel Shems "The house of god" erzählt uns auf vierhundert Seiten über den einjährigen Turnus, der in den U.S.A. im Anschluß an das Studium die Berechtigung zur Praxis verleiht. Um es vorweg zu nehmen: die Erzählungen, Episoden und der Wortgebrauch sind streckenweise höchst unterhaltsam, kurios, vielleicht übertrieben. Die Dramaturgie, der gesamte Handlungsstrang wirkt aufgesetzt, wie ein Puzzle, das aber aus einer langen Reihe einzelner aneinandergereihten Teilen besteht. Erzählt wird aus der Sicht von Roy G. Bash, autobiographisch (oder zumindest mit solchen Zügen) des Autors, der zuerst Arzt wurde, dann Psychologie nachgesetzt hat - was sich in den Dialogen mit der Freundin von Bash im Buch wiederspiegelt. Selbige nämlich ist im Buch Psychologin und analysiert ihren Artztfreund.

Ob das Buch, das schon in den 1970er Jahren entstanden ist, deswegen berühmt geworden ist ("Million Copy Bestseller"), ich weiß es nicht: aber die 'Laws of the house of god' sind überaus genial und auch bestens umgesetzt. Ich würde am liebsten alle aufzählen; ein paar davon:

#1 GOMERS DON´T DIE. Gomer ist die Abkürzung für Get-out-of-my-emergency-room und meint Menschen, die schon nicht mehr als menschliches Wesen scheinen. Aber sie sind hardnäckig, und eigentlich ist der Umkehrschluß gravierend: die jungen Leute, die hereinkommen, die sterben.

#4 THE PATIENT IS THE ONE WITH THE DESEASE. (Nachsatz: and not you, the doctor). Man solle sich quasi nicht zu sehr betroffen lassen machen von den Krankheiten, welche die Patienten haben.

#8 THEY CAN ALWAYS HURT YOU MORE. Patienten, speziell Gomers, sitzen am längeren Ast. Sie quälen Dich immer noch mehr, sie setzen eins drauf, und wenn sie als Tote noch Ärger machen.

#10 IF YOU DON´T TAKE A TEMPERATURE, YOU CAN´T FIND A FEVER. Anspielung darauf, daß die zu intensive Suche nach Krankheiten Dinge hervorbringt - oder sogar durch die invasiven Untersuchungsmethoden auslöst, die sonst nicht bedrohlich gewesen wären. (Ergänzend #13: THE DELIVERY OF MEDICAL CARE IS TO DO AS MUCH NOTHING AS POSSIBLE)

Extrem genial sind auch die Mechanismen TURF, BOUNCE, BUFF bzw. die WALL Funktion. Basis dessen ist, daß man Patienten NICHT auf seiner Station haben möchte. "Turfen" heißt, diese auf andere Stationen, idealerweise außer Haus zu verlegen. Garstig (und hoffentlich nicht ernst gemeint) erklärt The Fat Man das Turfen vermittels höhenverstellbarem Bett: aus der Bauchhöhe fallende Patienten turft man in die Orthopädie, aus Kopfhöhe fallende in die Neurochirurgie. Oder das Bett schräg stellen, um die Blutdruckmessung zu "tunen". So, nun sind aber die anderen Stationen auch nicht dumm und wollen den Patienten baldigst unfrankiert zurücksenden, sie "bouncen" ihn. Um das zu vermeiden, rät also der Fat Man, man möge die Charts (Kurven, quasi "Patientenakt") aufzupolieren (to buff) und anpassen, sodaß der Patient nicht mehr zurück kommt. In der Aufnahme ist derjenige Arzt eine Wall, welcher möglichst alle Patienten turft und nicht aufnimmt. Preisfrage am Ende: was ist der "ultimate turf"? Richtig, in die Pathologie, und da gibt´s dann keinen Bounce. Makaber - aber, lustig zu lesen, wenn man auf solche Art von Humor steht. Und daß der menschliche Oberarzt "The Fat Man" hundertmal effektiver - weil menschlicher - ist mit seinen "Laws" als sein Counterpart Dr.Jo, die technokratisch solange sucht, bis sie eine Krankheit findet, vermittelt Shem auch recht eindeutig.

Der Titel oder Untertitel des Buches hätte verdient, darauf hinzuweisen, daß hinsichtlich Sex alle nur möglichen Klischees abgearbeitet werden und auch mit expliziten Szenen keinesfalls gespart wird (ich erspare sie Euch auch nicht, auszugsweise ein paar nach dem Absatz). Jedenfalls ist die Botschaft klar: alle Krankenschwestern (ausnahmslos!) sind unerhört scharf auf Ärzte, und die Ärzte denken an nichts anderes, als an Sex. Ich meine: natürlich denken wir alle (okay, von mir aus: denke ICH) ständig an Sex, aber uns fehlt dieser doppelte körperliche Bezug im Job, kranke Objekte und sexuelle.) Trotzdem frage ich mich auch ob der Reduktion von Frauen auf Sexualobjekte (z.B. Dr. Jo [female], deren überdrehtes Verhalten durch fehlenden Sex erklärt wird. Oder daß etwas Sex, eine Orgie hie und da mit den älteren Damen des Pflegepersonals durchaus hilfreich sein kann, um seine Aufgaben oder die Verlegung von Patienten leichter handzuhaben. Oder daß weibliche Ärztinnen mit weiblichen Schwestern schlechter zusammenarbeiten, wie es die uralten Muster eh immer schon gewußt haben wollen, so Bash, so Shem) - ich frage mich also, ob zur Erscheinung des Buches Ende der 70er Jahre hier jemand aus dem feministischen Lager aufgestanden ist. (Wenn nein und das alles stimmt: Milan, warum bist Du bloß nicht Arzt geworden?)

Hier also wie versprochen ohne weiteren Kommentar Zitate - und ja, auch ich habe allerhand im Wörterbuch nachgeschlagen (blush):

(91) "Trying to hide the stiff screaming crowd living it up in my white pants, I (...) followed that pert bouncing ass into the patients room"

(154) "Whenever I thought of Molly, something rolled over in my pants and I felt younger than I was, and I got a glitter in my eye and I thought about my first love, and that bittersweet chaos of fumbling with hooks and belts and zippers and parents on couches on front seats on back seats on movie seats on rocks an everywhere except in beds"

(154) "in the instant between the sit down and the leg cross, there´s the flash of the fantasy triangle, the French panty bulging out over the downy mons linke a spinnaker before the soft blond and hairy trade winds"

(155) " (...) in the middle of a NO she says OOPS and in I slip, and she shows me her secret, which is that she fucks not like a young innocent little girl but like a moaning Byzantine courtesan, all gold and warm oil and myrrth."

(226f) "she couldn´t undo my pants fast enough, and when some snow dropped from her hat onto my inflating glans and I yelped and shivered all over, she laughed and said, Oh, Oscar [her name vor his penis] needs to be warmed up, doesn´t he? and did just that with her mouth - where did these nurses get these gymnastic hungry mouth"


Ansonsten läßt das Buch keine arztrelevanten Themen aus. Etwa, daß es letztlich allen um Geld geht, und daß Untersuchungen unnötig gemacht werden, nur weil sie viel bringen "there´s money in shit" meint, möglichst viele Darmspiegelungen durchzuführen. Darüber, daß Frischlinge an Fehlern und hinabgefressenen Emotionen zugrunde gehen können, bis hin zum Selbstmord von Potts. Über die Beziehungsprobleme von Ärzten, MOR (Marriage on Rocks) bzw. ROR (Relationship on rocks) und Scheidungsquoten. Über Mißbrauch der Funktion, wo Roy eine attraktive, leicht angeheiterte Norwegerin sich ausziehen läßt, ohne daß es aus medizinischer Sicht tatsächlich nötig gewesen wäre. Darüber, wie Bash die Nerven wegwirft und mit allen anfeindet, daß er süchtig wird und auch seine Freizeit in der Anstalt verbringt, nicht mehr abschalten kann. Darüber, daß er eine Affäre hat, über Sterbehilfe, über letale Fehler (wobei unser autobiographischer Held sich hier seine West vorsichtshalber rein hält). Über Haß zu Patienten und über zu intensives Mitgefühl. All diese M&M rounds (Morbidität und Mortalität) steigern sich zum Schluß hin, aber eben etwas übertrieben theatralisch und geometrisch wirkend. Ganz viel Kitsch nach amerikanischem Zuschnitt zum Schluß: "Humbly, I asked her [Berry] to marry me" als letzter Satz des Buches. Schließen wir aber mit den Worten eines schon leicht dementen Patienten, der nicht nur auf "How are you" sondern auf alles antwortet mit "PURRTY GUD" und bleiben wir Krankenhäusern fern, jedenfalls als Patient. PURRTY GUD.


Alle Zitate: Shem, Samuel (1978): The House of God.

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