Samstag, 30. Mai 2020

Jetzt steigere dich nicht so hinein!

Das ist jetzt irgendwie eine Gretchenfrage. Soll man sich in etwas hineinsteigern? Oder doch nicht? Wann ist es Zeit, die Niederlage anzuerkennen, den Verlust zu realisieren. Gibt man vorschnell auf, oder ist man unnötig verbissen und blockiert sich selbst. Eine durchaus nicht leicht zu beantwortende Frage und auch eine solche des Tempraments. Ein Beispiel dafür, was rauskommt, wenn man keinesfalls zu weichen bereit ist, liefert Simon Beckett in "Obsession". Der eine besessen, der andere besessen. Natürlich überspitzt, aber in milderer Form durchaus gängig, eben Sorgerechtsstreit, Nachbarschaftsstreit, Hickhack und Befindlichkeiten in der Verwandtschaft. Und dann wird Energie verschwendet in jeglicher Hinsicht und die Leute blockieren sich selbst. Wie kommt man aus dem Deadlock raus? Wenn vor und zurück nicht geht, heißt das Zauberwort "orthogonal", frei übersetzt mit "etwas anders machen". Die Helden bei Beckett konnten das nicht, sonst wäre der Spannungsbogen eingeknickt. Aber in echt, immer eine gute Idee, im Denken eine andere Richtung auszuprobieren. Tut auch nicht weh.

Simon Beckett: Obsession

Freitag, 8. Mai 2020

Leichte Kost

Nicht dass ich beurteilen könnte, ob die Küche Sri Lankas leichte Kost ist. Man bekommt Lust drauf bei diesem Buch. Aber der Roman selbst, Martin Suters "Der Koch" ist schon leichte Kost. Irgendwie hat der gute Suter zu viele Zutaten vermischt, aber jeweils zu wenig davon, dass ein Geschmack draus werden könnte. Flüchtlingsschicksal, Lesbe, die bekehrt wird und dann doch nicht, die Zauber und Wirkung der Kochkünste (das Parfum ist mir da gleich eingefallen), politische Verflechtungen, das Escort-Business und so weiter. Material für tausend Seiten. Von allem nur eine Kostprobe, na, wenigstens wird man nicht dick dabei. Witzig auch, dass die Story (der Roman stammt aus 2010) die letzte Krise (2008 Sub-Prime) wieder aufleben lässt. Jetzt die neue Krise, na, da wird uns auch noch ein Buchregen erwarten. Mal sehen, was es bei mir ranspült.

Sonntag, 3. Mai 2020

Die Rennaisance der Romantik

Wenn man jemanden fragt, was "romantisch" im geistesgeschichtlichen Sinne meint, kann man als Antwort kriegen: "So wie es in den Romanen ist", romanhaft. Das gibt dann vorerst relativ wenig her. Mir ist jetzt eine Klärung untergekommen; romantisch könnte man das Verhalten, die Psyche, die Gefühlswelt von Maria Stuart in Stefan Zweigs Buch (auch ein Roman!) nennen. Frau Stuart, die schottische Königin, handelt oft vorschnell, oft "unlogisch" und dem ersten Gefühl nachgebend, während Elisabeth I. bedacht, überlegt und vorsichtig, oftmals auch unsicher (Kapitel "Elisabeth gegen Elisabeth") ist. Gewonnen hat zumindest formell (länger gelebt, Macht erhalten) Elisabeth. Ihre Epoche war auch der Auftakt zu rational-wissenschaftlichem Handeln, was zu unerhörtem Fortschritt führte - und die fortschrittlichsten Nationen haben inzwischen die weniger fortschrittlichen unterjocht. Man kann sagen, dass Fortschritt (technisch insbesondere) mit Wohlstand gleichzusetzen ist. Romantisches Verhalten, ritterliches, nicht durchkalkuliertes hat sich als zweite Wahl herausgestellt. Aber zwei Dinge sind schon interessant. Nehmen wir Personen wie Steve Jobs her, der Apple zu einem wichtigen Teil zu dem gemacht hat, was es ist. War er so erfolgreich, weil er nur rationell entscheidete? Handelte er vielleicht auch an wichtigen Stellen "romantisch" im Sinne Maria Stuarts? Ist es diese gezielte Verunreinigung von straight-forward Denken, das die Ausnahmetalente von braven, aber phantasielosen Experten unterscheidet? Ist es vielleicht ein bißchen weniger technokratisches Denken, das nötig wäre, um die Herausforderungen der Gegenwart zu meistern. Phantasie und nicht nur Logik, orthogonales Denken und nicht nur lineare Weiterentwicklung, das wäre gefragt, vielleicht auch wieder Bauchgefühl und Intuition als Ratgeber zulassen (schlechter als so manche "expertengestützte" Entscheidungen von Politikern kann es auch nicht immer sein). Elisabeth mag gewonnen haben, aber vielleicht brauchen wir jetzt eine Renaissance von Romantik, Mut zum Ungewissen.

Stefan Zweig: Maria Stuart.
Sz-Bibl.Band 57