Dienstag, 26. Dezember 2023

Auch im Schatten ist Leben

Wie ein sepiafarbener Schatten, nur dunkler, legt sich die ständige Bedrohung durch die anderen über die Gemeinschaft. Und dennoch bleiben all die gewöhnlichen Vorgänge, Gefühle, Skandale, Techtelmechtel und insbesondere der viele Tratsch nicht aus. Normalität im Dauerausnahmezustand. Dass es das gibt, hat uns Amos Oz in "Ein anderer Ort" erzählt. Eigentlich ist der Titel irreführend, denn niemand will an einen anderen Ort. Außer vielleicht Noga, denn das happy end wirkt sehr vorläufig.

Wenn einem das 1966 erschienene Buch 2023 in die Hände fällt, ist es auch traurig zu lesen, dass sich der Konflikt im Nahen Osten keinesfalls verbessert hat.

Amos Oz: Ein anderer Ort. SZ-Bibliothek Bd.71

Freitag, 3. November 2023

Ein Konzert. Und seinen Folgen?

 Eine interessante Perspektive. Die Toten sind garnicht tot. Sie sind noch immer da, und es ergibt sich die Gelegenheit, ein potentielles Talent, das durch den frühen Tod verloren gint, weiter existieren zu lassen. Zugleich finden sich auch andernfalls unmögliche Verstrickungen, wenn Mordopfer ihre Mörder treffen. Heikel, wenn das ganze dann im Deutschen Reich Deportierte und die Täter betrifft. Ob man dieses Ende als "versöhnlich" betrachten kann oder eher doch als "ergebnisoffen", bleibt zu überlegen.

Hartmut Lange: Das Konzert. 

SZ-Bib.Bd.70

Freitag, 27. Oktober 2023

Einfach gestrickt

Einfach gestrickt erscheint in diesem Buch so ziemlich alles. Die Frauen: sie sind unersättlich, es geht ihnen um möglichst oft und möglichst hart, wobei ohne Geld, hilft selbst die beste Ausstattung nichts. Die Männer: wollen immer, und die Frage ist nur, ob es 3,4,5,6,7 Mal in Folge geht. Die Anmache: ein Spruch, ein bisschen abgrapschen, und läuft schon. Ansonsten: willenlos und unbeherrscht. Das Leben: Männer heiraten standesgemäß, aber es ist klar, dass sie bald eine Geliebte haben. Personen ohne viel Geld kommen nicht vor. Tagesfreizeit ist obligatorisch. Am Umschlag steht eine Autorin, aber vielleicht ist das ja nur ein Verkaufsschmäh. Also - muss man nicht gelesen haben.

Anne-Marie Villefranche: Die Purpurrose

Sonntag, 17. September 2023

Zeitlos

Der Hauptdarsteller und Erzähler eines Buches ist ein Bauwerk, aber ein Spezielles: eine Brücke. Weil sie lange da steht, wo sie steht, hat sie viel zu erzählen. So viel, dass man vielleicht ein Stück mehr vom Balkan versteht, als zuvor. Mit den Österreichern ist dann der Fortschritt gekommen. Aber war das wirklich ein Segen? Das Tempo wird immer schneller, der Platz im Leben "flexibel" und verrückbar. Heute würde die Brücke atemlos sein, da das Neue im Moment wo es kommt, nicht mehr neu ist. Auf der Kapija würden alle Handyschauen. Man hat sogar das Gefühl, das Wasser hat es eilig weiterzukommen, um Neues zu sehen, das dann doch nur Variation des Bekannten ist. Dabei sage ich immer: von 100 Tiktok Videos weiß man eine Woche später nichts mehr, von einem Film vielleicht schon noch etwas. Aber der Brücke ist auch das egal, sie wird auch diese Flausen überstehen.

Montag, 14. August 2023

So, oder doch nicht so

 Der gemeinsame Hauptnenner bleibt wieder das viele Geld. Auch Kresly Cole macht in ihrem "Frauenbuch" (ein Kollege bezeichnet Bücher dieser Art so) mit Titel "Gamemaker" keine Ausnahme. In zweiter Reihe wollen Frauen in dieser  Lesart einen echten Kerl, der sie dominiert, sich zwar unmöglich verhält, aber eine Kanone im Bett ist - logischerweise inklusive der Luxusausstattung. Im Gegensatz dazu machen die Frauen bei allem mit. In diesem Band wirklich bei allem. Zeitweise könnte man meinen, man liest die Audiodeskription eines umfassenden Pornos. Hier vermisst man schon die Raffinesse und Poesie von Klassikern des Genres. Aber vermutlich spielt sich hinter verschlossenen Türen oder in "geheimen", unterirdischen Luxuskatakomben wirklich das wahre Leben so ab, und die meisten Frauen trauen sich das nicht einfordern, weil ihre Männer es nicht bieten können.

Kresly Cole: Gamemaker. Spiel des Verlangens.

Dienstag, 18. Juli 2023

Die Frau, der Mann und das Meer

Da müssen sich die neuere Erzeugnisse erotischer Literatur aber sehr anhalten. Benoite Groult hat schon vor geraumer Zeit einen wunderbaren Band abgeliefert, Salz auf unserer Haut. Obwohl sie im Vorwort tiefstapelt, hat sie den Wortgebrauch genauso im Griff, wie gewisse andere Dinge im Buch. Hier wird die Frage, ob Sex alleine tragfähig in einer Beziehung ist, vollständig geklärt (ja). Auch alle, teils jahrelangen Pausen werden überwunden. Der starke Mann in seiner urwüchsigen Männlichkeit kann trotzdem Gefühle zeigen und wird deshalb um nichts schwächer. Da kann die liebe Anstandsdame einpacken, wenngleich ihre Meldungen über das Buch verstreut schlichtweg köstlich sind. Überhaupt ist das Buch überaus charmant, französisch, humorvoll, rührend, lieblich, erotisch - einfach ein Must-read.

Samstag, 15. Juli 2023

Schlafwandlerische Sicherheit des Nachts

 Man muss nicht rumreden, Le Carres Stil ist unerreicht. Er bastelt sich Phrasen, Sätze zusammen, die sind treffsicher und dennoch unerwartet. Vermutlich ist für gelernte Engländer der Teil des Buchs, der sich in der Halbwelt zwischen Politik und den Diensten, den konkurrierenden Diensten (wer ist hier der Feind?) abspielt, überaus amüsant zu lesen, aber es ist auch für uns Nichtengländer guter Stoff. Interessant auch, dass der namensgebende Hotelteil recht kurz ist und trotzdem über die ganze Zeit nachhallt.

 John Le Carre: Der Nachtmanager

Freitag, 19. Mai 2023

Die digitale Kopie des Bienenzüchters ist immer noch da

1978 war es vielleicht der einzige Weg, jemand nachzuerzählen, wenn man seine Notizbücher zusammensucht und auswertet. Der Bienenzüchter hat hier einiges hinterlassen und über allerhand nachgedacht. Wie wäre das 2023? Man müsste nur das Handy des Bienenzüchters auswerten, aber würde man hier wirklich tiefergehende Gedanken finden? Vermutlich eher nicht. Interessant wird es dann, wenn in der Zukunft die KI das Handy von jemanden auswertet und uns erklärt, wie er über dieses oder jenes gedacht hat. Wir könnten dann sogar mit ihm oder ihr chatten. Oder auch spannend: mit sich selbst chatten. Wie ich immer sage: KI macht die Zukunft gruselig und aufregend zugleich.

Alle schweren Dinge sind drei

Der dritte Band der 365er Serie von Blanka Lipinska erleidet das typische Fortsetzungsschicksal. Mit der Atmosphäre kann man nicht mehr spielen. Das Repatoire an Szenen wurde in den ersten beiden Bänden völlig ausgeschöpft. Sie hat es mit etwas Spannung versucht, wobei die Protagonistin schon einiges mitmachen musste, um zum Happy End zu kommen. Da ist es nicht verwunderlich, dass man bei der filmischen Umsetzung von Teil 3 schon dort oder da geschraubt hat. Immerhin habe ich hier Teil drei durchgelesen, wo ich bei 50 Shades nach zwei Seiten des dritten Teils aufgehört hatte.

Blanka Lipinska: 365 Tage mehr.

Sonntag, 23. April 2023

Der Owen-Way

Besser ist, man fragt garnicht, was die Autorin, der Autor eines Buches damit sagen will. Besser ist, man nimmt es als eine schöne Erzählung in einer gut gewogenen Sprache (auch in der Übersetzung) hin. Man folgt dem guten Owen von seinen Anfängen als Kind, durch die prüden Fünfziger, bis es dann völlig überkocht. Das Ganze wirkt auch wie eine melancholische Rückschau, was besonders mit dem Vergleich ganz am Ende rauskommt. Das blaue Seidenpapier gegen das Licht gehalten, die Löcher, die glänzen wie Sterne: das sind die Frauen, die er gehabt hat (wörtlich: die sich von ihm f* ließen). Ein bißchen theatralisch, da muss sich Updike schon die Frage gefallen lassen, ob das wirklich alles ist, was vom Leben bleibt. (Vielleicht ist es so, das weiß man ja erst am Ende). Jedenfalls hat der Autor es wieder geschafft, einen sympathischen Protagonisten zu entwerfen, den man einfach nicht böse sein kann, trotz oder wegen seiner Verfehlungen.

 John Updike: Landleben

Samstag, 1. April 2023

Den Spieß umgekehrt

 Die Erwartungshaltung war natürlich entsprechend: wenn Mister-Blackout-und-Zero Marc Elsberg einen Thriller über den Klimawandel, genauer über Geoengineering vorlegt, sollte das ein heißes Ding sein. Ist es auch. Abgesehen vom Thema und dessen Facetten - all das bestimmt gut recherchiert, ist die Darstellungsform sehr geschickt gewählt. Der Promotionfilm ist in der Lage,den Leser zwei Mal aufs Glatteis zu locken. Jedes Mal meint man, dass das jetzt so geschieht, bis am Ende der Film es zeigt.

Auch der zugegeben etwas überspitzte und vermutlich schon unrealistische Schlussteil hat es in sich: etwa die skifahrenden Afrikaner (bzw. Südhemisphärenbewohner), die sich über das mittelprächtig lustig bis langweilie Schuhplatteln der weißen Zuwanderer mokiert sowie über die Arbeitskräfte, die immer die Sprache nicht entsprechend erlernt haben. Und dass nun Bootsflüchtlinge die Route von Norden nach Süden nehmen. Vielleicht sollte man die Boote für die riskante Überfahrt gleich in Süditalien aufheben.

Sonntag, 5. März 2023

Ein Fieber, das auch vergeht

Tokyo Fever ist 2009 raugekommen, da musste ich direkt nachsehen, ob das vor oder nach dem Erscheinen von 50 shades war. Nicht dass es in Tokyo so viel Bestrafung gibt, aber das Genre hat durch die 50 shades sicher eine Veränderung erlebt. Die Story selbst ist wie immer der Realität enthoben in den Galmour Bereich, Superstars, Geld, Lamborghini, wundervolle Körper, Jugend, Schönheit. Die Beschreibungen werden schon gut explizit, und die Dreiermischung geht schon etwas weiter.

Dennoch hält es beispielsweise mit "365 Tage" nicht mit, obwohl dort auch Glamour ohne Ende da ist.

Samstag, 14. Januar 2023

Also würklich!

Jetzt denkt man sich, okay, das Vorwort zieht sich aber. Bis man checkt, dass das Buch nur in der Buchbesprechung erzählt wird. Ist natürlich ein guter Trick, weil all das Füllmaterial kann man weglassen bzw. nur darüber reden, wie überbordend das war, und daneben kann sich der Autor auch noch selbst in Szene setzen. Aber keine leichte Übung, dass das auch würklich was Spannendes wird.

Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren.