Gerade bin ich zurückgekommen aus der Zukunft. Im Radio* läuft eine Jazzpianoversion von Redemption Song, ganz im Stil von Barmusik aus dem vorigen Jahrhundert. Am Herd steht mein Espressokocher, so wie er schon immer auf Herden und Öfen stand, aus nichts zusammengesetzt wie einem Sieb mit Kaffee und zwei ineinander verschraubbaren Teilen. Zehn Jahre alte Möbel umgeben mich, und der Klang eines UKW Radio, analog. Wohl fühle ich mich dabei.
Aber so eine Reise in die Zukunft läßt einem das Eigene, Rückständige wieder schätzen. Und deshalb möchte ich Euch davon erzählen. Ich war also bei Brudern, der im Gegensatz zu mir keinesfalls Durchschnitt ist. Er ist vorne dabei, ganz besonders was elektronische Spielzeuge betrifft (auch elektrische, etwa sein nagelneuer Aschestaubsauger, damit man die Aschenlade des Kaminofens nicht mehr ausleeren muß). So kam ich also erstmals und ausführlich in den Genuß einer Nintendo Wii Spielekonsole, die beim Brudern ergänzt ist mit dem "Sprungteppich" (einer elektrischen Matte, die erkennt, wo man hintritt), dann einem "Balancemeßinstrument" (das mißt, wohin man sein Gewicht verlagert) sowie diversen Plastikteilen, in die man den Controller reingeben kann, womit man plötzlich einen Tennis-, Baseball- oder Golfschläger hält, ein Lenkrad oder eine Pistole. Ich meine: computergespielt, das haben wir alle irgendwann mal. Ichselbst habe damit sehr abrupt mit 18 oder 19 aufgehört. Aber gerade die Turnstunde mit dem Balance Board hat eine neue Qualität. Hier wird vermittelt - und der Bruder konkretisierte es mit: das ist für die "bladgefressenen Stadtkinder" - damit könne ein jeder sein Bewegungspensum aufbringen. Und es ist jede Menge Motivationspsychologie in der Software mitgeliefert. So werden etwa neue Spiele erst ermöglicht, wenn man insgesamt genug trainiert hat. Der BMI wird ausgerechnet, und das "Wii Fit Alter" ermittelt, also jenes Alter, dem man von seiner Fitness her entspricht. Ich werfe gleich ein: bei mir schlug Nintendo trotz meines hohen Alters noch weitere fünf Jahre auf mein Fitnessalter auf, obwohl ich einen BMI von 23 habe und nicht so schlecht in Form bin. Sei´s drum. Das Ding fragt mich beim Registrieren, wie ich mein Gewicht in zwei Wochen verändern (abnehmen) will. Und dann steht man im viel zu warm geheizten Wohnzimmer vor einem Plasmaschirm und verrenkt sich, holt sich vermutlich demnächst von diesen Spielen eine Sehnenscheidenentzündung, fragt sich: kann es das wirklich sein? Kann mir das je meinen geliebten Wald ersetzen? Der Wald, dessen mystische Kraft, dessen visuelle Dramturgie, dessen Heimeligkeit mich jedesmal immer und immer fasziniert und anlockt, Tag, Nacht, auch Herbst, Allerseelen, Spätherbst, November, Winter, und all die restlichen Zeiten im Jahr. Mir nicht. Ich brauche für viele Dinge keine Motivation, ich habe noch archaische Triebe in mir, höchsten noch dem Mond, der mich in Unruhe umherirren läßt, auf der Suche nach... Aber ich verzettle mich. In der Zukunft interessiert weder Wald noch Mond noch Triebe noch Spätherbst noch Sinne. Die Verkürzung menschlicher Wahrnehmung erfolgt in zwei Stufen: einerseits auf die visuelle (hören ist dabei, aber stets nachrangig, weil nebenher) und andererseits auf eine Distanz von wenigen Metern beschränkt. Und hier sind wir wieder zurück in des Bruders Wohnhöhle, an dessen wärmespendenden Fernsehgerät, was sage ich: Multimediaausgabegerät mit Meterdiagonale. Von Früh morgens bis Abends läuft das Ding, es hat die Funktion des wärmenden Feuers in der Steinzeithöhle, es bildet den Mittelpunkt, den Versammlungsort. Nur daß keiner Geschichten erzählt, daß keiner zuhört, daß man auch zu zweit zu dritt ist. Er ist immer da. Gefüttert wird er neben der Spielekonsole noch mit Aon TV (zuzüglich Premium Kanäle Paket) sowie der Vernetzung mit Computern und damit allen downloadbaren Inhalten. Was noch fehlt, denke ich mir, während ich, als Bösemensch steckbrieflich in allen Applestores ausgehängt nie eine Chance auf ein iProdukt habend, mit Bruders iPhone spiele, ist die saubere Integration all dessen. Eine Frage von Zeit und Herstellerwillens.
Schlagartig fällt mir ein die These von der "Digital Divide", ein theoretisches Konstrukt der Medienwissenschaft. Aber spätestens seit Facebook vom, wie Anja es treffed ausdrückt, vom Pöbel breit gebraucht wird, vollzieht sich die Teilung nicht zwischen Digitalen und Nicht-Digitalen, sondern zwischen denen, die sich die Informationsinfrastrukturen zunutze machen, und solchen, die vom "Medium"** genutzt werden, die gebraucht werden als eShopkäufer, online Werbung Gucker und Konsumenten bzw. Marketingadressaten - als Schafe, die geschoren werden, um es kurz zu fassen. (Beim Brudern ist das eine Hybridstellung, er lebt vom Internet und konsumiert es und darin auch heftig.)
Ich gehe letztlich das Risiko ein, gebrandmarkt zu werden als Besserwisser (wenn nicht Bessermensch im Sinne des Gutmenschkonzepts), als überheblich, als Kulturpessimist, wenn ich so über das Fernsehen herwettere, dabei: es ist nicht das Fernsehen per se, sondern ünmäßiger, nicht verdaubarer Medienkonsum. So, und jetzt saufe ich den selbst (Nes rät: langsam) gebrühten Kaffee in mich hinein, zurück aus der Zukunft.
* Ö1, Monty Alexander, aufgenommen am 6. November beim Salzburger Jazzherbst aus der großen Aula der Universität Salzburg
** Den Begriff "Medium" habe ich früher sehr gescheut, und aus Vorsichtsgründen gebrauche ich ihn auch noch heute innert Doppelhochkommata.
Montag, 28. Dezember 2009
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