Sonntag, 11. Dezember 2011

Hai und Wal

Schon witzig, wie parallel und doch mit einem entscheidenden Unterschied am Ende sich zwei mir unlängst unter die Hände geratene Geschichten zeigen, Herman Melville´s Moby Dick und die Steven Spielberg Version des Peter Benchley Romans "Jaws" ("Der weiße Hai"). In beiden Fällen geht es um einen weißen Meeresbewohner, dem man nachsteht, den man mit allen Mitteln zur Strecke bringen will. Da ist Käptn Ahab, entmastet ("Moby Dick, der mich entmastet hat", S.109, Anm: ein Bein abgerissen) vom Wal, der sich und seine gesamte Mannschaft ins Verderben führt (wobei stimmungsmäßig keine Seite lang Zweifel über das Verderben besteht). Ahab´sche Züge hat auch Haijäger Quint, der das Funkgerät zertrümmert, damit nicht die Küstenwache als Verstärkung gerufen werden kann - klar, ein kleiner Plot-trick, denn sonst würde ja die Spannung, der Kampf, nicht aufrecht bleiben. Wobei: warum ist das Funkgerät nicht einfach von einem Wasserschwall durchnäßt eingegangen? Während man bei Melville über den Walfang im 19.Jdt. lernen kann, baut Jaws den Hai zum Feindbild auf, der Unschuldige verspeist.
Im Finale kommt es zum entscheidenden Kampf auf beiden Fronten. Der Wal bleibt, der Hai zerplatzt durch eine Druckluftflasche durch die Hand des Helden, des Polizisten. Käptn Quint muß aber noch dran glauben. Ahab sowieso. Melville läßt nur einen der Pequodbesatzung über, denn der muß die Geschichte ja erzählen: "Ich heiße Ismael".

Freitag, 25. November 2011

Ich doch nicht!

Eines ist klar. Der Glavinic hat diesen Text nur deswegen geschrieben, um lästige neue Konkurrenz abzuhalten von der dargestellt wahnwitzigen Idee, Schriftsteller zu werden. Recht schlau, denn das erhöht die Chancen auf Long-, Short- und sonstigen Listen vorzudringen (oder gar Bester Autor seiner Generation zu werden). Aber spätestens seit TopGun wissen wir ja, wo der Platz für die zweiten ist.
Wie heißt es in der Widmung: "... es wird Dir gefallen. Und: es liest sich sehr schnell." - beides stimmt. Obwohl es fast schade ist, daß die vielen treffenden Niederungen, ähm Themen wollte ich sagen, jedes für sich eine viel eingehende Widmung verdienten. Und so hopsen die Episoden dahin, fast wie in einem Blog, durchzogen vom roten Faden des Buchpreises. Aber wer schreibt heute noch einen Blog? In diesem Sinn darf ich aber Herrn Glavinic versichern: nein, zwei Monate Robert Walser zur Erholung sind deutlich übertrieben. Drei Wochen reichen gewiß. Aufgelegt.

Down

Schreiben befreit /
Musik tröstet.
(Funktioniert immer noch, nach all den Jahren)

Freitag, 14. Oktober 2011

Dream Machine

Dort vorne, wo das graue, oben gleichmäßig perforierte Gehäuse in eine klare Frontscheibe übergeht, ist prominent die Bezeichnung "Dream Machine" eingelassen. Weil sie, oder sollte ich sagen: er, weitaus zu kompliziert für den alltäglichen Einsatz ist, steht der Weckerradio in meinem Büro am Fensterbrett, von wo aus er hinter sich einen nach den Jahren nicht mehr so atemberaubenden Ausblick verpaßt (abgesehen von Sonnenuntergängen im Herbst). Eine Traummaschine im Büro ist so eine Sache, aber träumen wird ja wohl noch erlaubt sein. Und er lieferte an jenem Donnerstag dem dreizehnten am Nachmittag (anmoderiert von der - schmacht - unsagbaren Teresa Vogl) Debussys Reflets dans l'eau aus den Images. Da wußte ich noch nicht, daß mir der Abend einen Reminiszenz daran bieten werde.
Im Konzerthaus Wien war nämlich Avishai Cohen. Nicht sehr gut vorbereitet und noch ganz eingenommen vom Ambiente (ja, der Saal hält, was das Foyer verspricht) war ich genauso schnell überfordert. Herr Cohen und seine beiden kongenialen Mitmusiker erzeugten Musik von einer Dichte, die mich schier überforderte. Ich meine, als Mensch vom Land hat man diese und jene Hörgewohnheiten. Man sucht ein Thema. Oder einen Groove. Oder was auch immer. Selbst eine Klangtapete von Debussy'schem Zuschnitt geht als solche rein. Aber ein Muster wie die drei da unten produzieren! Schon macht sich Angst breit, hier würde man einem Virtousenkult, einer Notenschlacht und Tonvergeudung anheim fallen, derer folgend man drei Tage Stille (John Cage mal x) bräuchte, um die Eindrücke halbwegs aufteilen zu können. Technokraten!
Aber das war nur die anfängliche Exposition. Mit den ersten weniger dichten Stellen, und erst recht mit den lyrischen, wurde das Konzert zu einem Erlebnis. Je mehr Bogen, desto besser. Beeindruckend auch die Gesangsstellen mit eigener Kontrabaßbegleitung und sonst nichts. Freilich, vom umgebenden Publikum vermutlich als verrückt angesehen, muß ich mehrmals grinsen, wo mir zum makellosen Helden Cohen der garnicht makellose, gleichsam Alter Ego, einfällt, nämlich Patrick Süskinds Kontrabassist, der biertrinkend ("Sie gestatten?") über den "Kasten" stolpert, und das nicht nur im Wortsinn.
Aber jeder findet eben etwas anderes in der Musik des Trios. Seien es Showelemente, Virtousentum, der Klang des Instruments (besonders der gestrichenen Saite), das Klaviersolo (sa-gen-haft), Metallicaassoziationen, Kontemplation oder Analyse.
Ichselbst möchte sagen, daß diese Musik Jazz für Fortgeschrittene ist und nicht einfach zu hören (für den Laien vom Land), obwohl ich auf der Suche nach interessanten Stellen und traumhaften lyrischen Stellen (Dream Machine diesmal mit vier Saiten und zwei F-Löchern) durchaus fündig wurde und mit dem Kopf voll Musik in die Nacht ging, natürlich auf der Suche nach dem vorenthaltenen letzten Ton.

Montag, 28. März 2011

Hartgesotten?

Nach alledem: ist man hartgesotten? Ich nicht. Ich muß sagen. Die gegenwärtigen Geschehnisse in der Welt nehmen mich sehr mit. Obhinschon Bewohner eines Eilandes, deren Behauser nachgesagt wird, sie seien Selige, ist die Empathie für die Ereignisse in Japan und Libyen nicht einfach zu ertragen. Man hört die Nachrichten, stündlich, täglich, und nie wird etwas besser. Leute werden geopfert, verrecken, zählen nicht, sind Nummern. Daneben lese ich ein Buch, das, zu einer Zeit noch vor dem ersten A-Bombenabwurf (der auch dieselbe Insel traf; schlägt der Blitz wirklich zwei Mal ein?) entstanden, noch viel mehr Grausamkeiten enthält: und trotzdem verzweifelt man daran zu glauben, irgendjemand wäre gescheiter geworden. Im Endeffekt: nein. Und so sitze ich vor dem Radiogerät, blättere in der Zeitung, aber auch diverse, pikante Schmankerl (Strasser, Petzner) können nur kurz hinwegtäuschen. Ausblenden und Vergessen: beides schwerer, als gedacht.

Montag, 21. März 2011

Liebe auf den ersten Anschlag

Vor zwei Wochen hat sie Einzug gehalten. Sie, eine ältere Dame, schon gut 50 Jahre auf dem Buckel, und mit nicht wenigen Macken. Da hängt mal das "e", da wird das Band nicht gleichmäßig zurückgespult. Aber das Schreiben mit ihr ist einfach eine geniale Erfahrung und mit einem Computer nicht zu vergleichen. Schreiben ist da wirklich noch Arbeit. Aber die Belohnung folgt auf den Fuße. Und der Klang selbst. Nicht dieses sterile Klicken einer Computertastatur. Hach ja, schmacht, das muß Liebe sein.

Mittwoch, 2. März 2011

Commedia dell´arte oder Dramma per musica

Personen in diesem Stück:

- SIE: Protagonistin, Heldin, Herzdame
- ER, ihr Liebhaber: sich zu den Menschen herabgelassen habende Gottheit von bisweilen ungeschauter Männlichkeit, Herzkönig
- die Nebenbuhlerin: trifft in diesem Schauspiel erst auf den Liebhaber (Gefahr, seiner Attraktion nicht widerstehen zu können; eine Gefahr, der selbst die allerheiligste, keuscheste Nonne auf dem Erdboden unterliegt), Pikdame
- die Andere, auch eine enge Vertraute von IHR, Karodame
- ein wohlhabender Edelmann niederer Herkunft, Verehrer und bald schon Verlobter der Anderen, Itell Reding
- Gesindel und Gefolge des Herzkönigs, darunter sein steter Begleiter und Stallmeister Rudolf Harras
- der Alte, Erzähler, in dunkelgraue, schäbige Kutte gehüllt

I. Vorabend vor dem Ball

- SIE: ich bin, zugegeben, wegen morgen aufgeregt, aufgewühlt
- der Alte: etwas bereitet Dir Sorge, Kind?
- SIE: Gewiß, Pikdame, sie ist, seit von Dannen sich gemacht von ihrem Pikbuben, brandgefährlicher als jedes dürre Stroh im trockensten Sommerwind. Mag sein, daß sie nicht so unverschämt ist. Aber wer weiß?
- der Alte: Hat sie ihn geblickt?
- SIE: Ichselbst war des Leichtsinns, IHN und die Pikdame aufeinanderprallen zu lassen. Hastig sog sie den verbrannten Tabakrauch in ihre Lungen, nur um mir dann aufgescheucht Bericht zu erstatten. Er gefalle ihr, so sie.
- der Alte: Nie kannst Du wissen.
- SIE: Nie!

SIE blickt zum Gewölbe hoch. Sinniert.
- SIE: Pikdame und Karodame ungebremst im Konversationswahn...
- der Alte: Wie sprichst Du über die Deinen!
- SIE: ...sind nicht zu bremsen, untergehen werd´ ich. Untergehen.
- der Alte: Wertheimer.
- SIE: Nicht so. Oder doch. Sie sind der feinen Konversation freilich nicht in solch einer Virtousität mächtig, können auf der Klaviatur der Worte nicht so fingerfertig tanzen wie ein Glenn mit Tönen.
- der Alte: Was gedenkst Du zu tun?
- SIE: Wenn ich wüßte. Eines nur, zur gekommenen Zeit wird mir klaren Auges gewahr werden, was es gespielt haben wird.

SIE geht ab. Der Alte bleibt zurück.

- der Alte (zu sich beim Anblick des Nachthimmels): Die Gestirne, sie lügen nicht. Das haben sie nie. Gelegenheiten tun sich auf. Sie wird ringen müssen mit allen Mitteln, alles in die Waagschale werfen, ihr feinstes Geschmeide anlegen, großzügig sein, wortgewandt und lieblich und lustig. ...was es gespielt haben wird.

Sonntag, 30. Januar 2011

1986

Vor 25 Jahren ist, wie uns die Nachrichten mit der Aktualisierung von eigentlich längst vergangenem in Erinnerung rufen, die Raumfähren Challenger kurz nach dem Start explodiert. Eines der Ereignisse, mit denen sich 1, 2, 3, 5, 10, 15, 20, 25, 30, 40, 50 Jahre später wieder (billig: Griff ins Archiv) "neue" Nachrichten machen lassen - unspekatakulär. Nicht für mich. Denn obwohl ich damals schon die Hauptschule besuchte, ist diese Katastrophe das erste, durch Medien transportierte Ereignis, an das ich mich zurück erinnern kann. Warum alleine, weiß ich nicht mehr, jedenfalls saß nur ich vor dem (schwarzweiße Bilder liefernde) Fernsehgerät und sah die Mini-ZIB mit den Bildern der Explosion. Nicht daß unser Haushalt ein nachrichtenkonsumierender gewesen wäre, iwo, die Krone am Freitag wegen dem Fernsehprogramm, und die ZIB um 19 Uhr 30 viel weniger "Pflicht" oder Routine als anderswo. Trotzdem interessant, wie aufwühlend etwas sein muß, um in Erinnerung zu bleiben. Nur 3 Monate später hat es das nächste Ereignis gegeben, das sich noch viel mehr einbrannte, weil es uns auch praktisch begroffen hat: Tschernobyl. In der Schule gab es damals Vorträge, wie man den Keller im nuklearen Notfall umrüsten könnte als Schutzraum, und daß man die Finger von den Schwammerln lassen sollte in dieser Saison.

Dienstag, 4. Januar 2011

In Petuschki angekommen: sternhagelvoll

Mein Kopf schmerzt. Er hämmert, er pocht. Der Brechreiz will nicht weggehen, nicht einmal der Gedanke an ein belegtes Brot kann helfen. Kurz, es ist die "ohnmächtigste und schmachvollste Zeit im Leben meines Volkes - o Zeit zwischen Morgendämmern und Öffnung der Geschäfte". Wer sich mit Wenedikt Wenitschka auf die Reise vom Kursker Bahnhof nach Petuschki macht, wird schon beim Lesen stockbesoffen. Je weiter man vorankommt (im Köfferchen neben den belegten Broten auch 2 Flaschen Kubanskaja, zwei Viertel Rossijskaja (zu je nur 1,64 Rubel!) und einen hochprozentigen Rosé), desto kurioser und grotesker schweift der Text aus, genau so, wie der gute Wenitschka (anfangs noch im inneren Dialog mit den Engeln) säuft. Erst Erzählungen, dann die Runde Geselliger im Abteil, die beim Saufen alle den Kopf zurückreißen wie der Pianist bei der Zugabe auf die Etüde in CIS- (sic!) -Moll von Franz Liszt. Ausführungen über fremde Länder folgen - stets mit dem nötigen Ernst für Politisches, der dem gebildeten Säufer anhaftet, unterbrochen vom Oberschaffner Semjonytsch (wir wissen: ein Gramm pro gefahrenen Kilometer), weiter zu Wahnvorstellungen und einem tragischen Ende.
Mirselbst gefällt zu vordererst auch der Bezug zur Telefonkabelverlegung durch die staatliche Stelle mit jeder Menge Dienstfreizeit, die ein jeder nutzt, wie er meint: "der eine trank Wermut, ein anderer, etwas Einfacherer, Eau de Cologne 'Frische', und einer mit höheren Ansprüchen saß auf dem internationalen Flughafen Scheremetjewo und trank Cognac." Verdammt, das kommt mir bekannt vor. Insgesamt wird es für das Schreiben des Buches, das ich sehr empfehlen kann, nicht gereicht haben, anderen Tschecheranten Gehör zu schenken. Der Gute Wenedikt muß hier allerlei praktische Erfahrungen und Experimente am eigenen Leib mitgemacht haben (natürlich nur im Dienste der Literatur, versteht sich!), sonst könnte er den Tagesablauf eines Säufers bis zum völligen Abwinken nicht SO beschreiben. Prost!

JEROFEJEW, Wenedikt: Die Reise nach Petuschi. Ein Poem. 1973