Mittwoch, 25. Juni 2014

Gauß oder Humboldt, das ist hier die Frage

Zwei Persönlichkeiten, die dasselbe wollen, es aber auf völlig unterschiedliche Weise versuchen. Ein sehr amüsanter, interessanter und lehrreicher Roman, den Herr Kehlmann da abgefaßt hat. Zügig geschrieben, mit zahlreichen Pointen und gelungenen Dialogen, vor allem das Streitgespräch von Gauß mit Humboldt darüber, was Wissenschaft sei. Empirie oder Theorie? Deduktion oder Induktion?
Wo finde ich mich zwischen den beiden? Der Abenteurer, der reist und alles probiert, naiv, draufgängerisch. Oder der Grübler, der im stillen Kämmerchen werkt, ein Blatt Papier, allenfalls noch ein Fernrohr, ein Mann, der nicht aufgebe, ehe er verstehe. Klare Antwort: zweiteres. Ohne mir irgendetwas anzumaßen. Aber simples Nachdenken scheint in der heute aktuellen Reizüberflutung unmodern geworden zu sein. Man schaue sich nur als ein Beispiel die Android-App 'Play Kiosk' an - damit kann man sich so mit Infos vollstopfen, daß ein Verdauen aussichtslos ist. Und das ist nur ein Dienst. Oh, wie würde Gauß da vortrefflich schimpfen über so einen Unsinn. Denn er begriff schon früh "...daß niemand den Verstand benutzen wollte. Menschen wollten Ruhe. Sie wollten essen und schlafen, und sie wollten, daß man nett zu ihnen war. Denken wollten sie nicht.“ (55)
Gibt man noch ein Schlußwort auf das Altern, das gerade in der Rußland Reise schön dargestellt ist: derartiges wird wohl ausgeblendet. Wie gehen wir mit der Infoschwemme um, wenn man nicht mehr gut geht, nicht mehr richtig sieht und so langsam denkt. (245) Aber jede Wette: im Gugl Playstore gibts auch dafür eine Lösung, den Infodestillator.

Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt.



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