Dienstag, 26. Dezember 2017

Die überdesignte Gengeschichte

Leider muss ich feststellen, dass der dritte Elsberg nicht das hält, was die beiden ersten verheißen haben. Die Story wirkt einigermaßen konstruiert und das rasante Tempo und die Rhythmik, welche an Zero und Blackout so mitreißend waren, ist hier dahin. Ungeachtet vom realen Stand der Wissenschaft scheint dann speziell der zweite erstaunliche Sachverhalt, nämlich dass ein Virus erfunden wurde, das männliches Erbgut verändert (natürlich all in, also auch Gene Drive), hochansteckend ist und in Kürze die ganze Weltbevölkerung  auf "modern" umstellt, zu groß ausgeholt und zu "plotnotwendig". Der Nebenschauplatz mit Santira und meritorisch ausgebrachten GMOs wirkt drangeklebt. Die Greg-Helen Frage dreht sich auch in kleinem Radius im Kreis. Kurz gesagt, vielleicht bin ich das Muster schon durch oder es ist das Werk diesmal nicht so gelungen. Schauen wir, was als nächster aus Elsbergs Feder kommt.

Marc Elsberg: Helix

Freitag, 22. Dezember 2017

Der Alltagsbetrachtungsdienstleister

Jetzt könnte man den Autor, Andreas V. Engel, natürlich fragen: wo ist Dei(ne) Leistung? Weil nach der Lektüre von "Gemischte Sätze" könnte man ohne weiteres sagen: hier ist nichts ER-funden, sondern alles nur GE-funden. Weil Wien, da findest Du alles. Havlitschek, Einfalt, Mariann sowie alle denkbaren "Originale" und Themen. Nichts muss man erfinden, einfach in die Straßenbahn setzen oder ins Kaffeehaus, nicht (!) die Ohren zustöpseln und Wien und seine Bewohner auf sich wirken lassen. So einfach geht das. Einfach? Dann doch nicht, denn die aufmerksame Beobachtung des Alltages reicht bei weitem nicht aus. Die Übersetzung in eine Textform, das Destillieren des Wesentlichen, das Übersteigern des Irrwitzigen, der Spiegel, den er uns vorhält: das ist die Leistung. Dass er, der Engel, das dann auch noch in verschiedenen Disziplinen, sprich Textsorten beherrscht, in Reim und Prosa, in Dialog und Erzählung, macht aus dem Buch ein kurzweiliges. Aber sind wir nicht alle Spezialisten? Tankwart, Kellner, Baumarktverkäufer (hier ist allerdings die Kompetenz des Versteckens vor dem Kunden nicht so einfach zu erlernen), Supermarkt, Möbelkassierer, Banker  und so weiter. Der Spezialist für die nach-denkliche Perspektive oftmals be-denklicher, aber gerne übersehener Obskuritäten haben wir jedenfalls gefunden - endlich etwas, das wir nicht selbst machen müssen. Danke.

Andreas V. Engel (2017): Gemischte Sätze. Humoristische Sichtweisen auf den Alltag.

Montag, 9. Oktober 2017

Der Tatort-Kommissar ist ein Kommissar ist kein Kommissar ist ...

Es gibt im deutschen Sprachraum eine umfangreiche Tatort-Fangemeinde. Spielt man lange Jahre einen Kommissar, kann das Folgen haben, die je Perspektive positiv oder negativ ausfallen. Nämlich: der Schauspieler verwächst mit der Rolle und verliert sogar seinen echten Namen. Leitmayr und Batic kennt jeder, aber wer kennt schon den Wachtveitl und den Nemec? Aber die guten Seiten sind die, wo der Nemec sein Gewicht als Batic in die Waagschale wirft und einen Roman verfaßt, wo er sichselbst, den Schauspieler Nemec spielt, den alle als Batic kennen. Und das ist dann auch schon so ziemlich alles, was "Die Toten von der Falkneralm" von handelsüblichen Landkrimis unterscheidet. Ist aber schon ausreichend für den Unterhaltungswert EINER Geschichte, allerdings, am Buchcover prang "mein erster Fall" herab. Bei der Fortsetzung muss definitiv mehr Story her, weil das Setting "Tatortschauspieler ganz privat" braucht sich ab.

Miroslav Nemec: Die Toten von der Falkneralm.

Samstag, 5. August 2017

Der Dritte (ist der zweite) Mann

Die Ideen in Beckett´s Voyeur sind nicht mal so übel. Erstens geht all der Ärger von einem Kunstwerk aus, und es soll ein Kunstwerk in realiter werden. Das ist sicher selten, dass jemand derart besessen ist von einer Vorstellung und diesen Aufwand treibt. Zweitens ist die Idee, ein Paar durch einen Dritten auseinanderbringen zu wollen, weil dieser nicht "gut genug" ist für die tolle Anna, verrückt genug, um gut zu sein. Aber dann kommt die Ablenkung im Mittelteil, der Mord, und die Grundidee gerät in Vergessenheit. Weil als Tatortseher fragst Du Dich: kommen die drauf. Etwas Füllmaterial später (Autounfall und Folgen) wird´s aber nochmal spannend. Das Ende ist dann abrupt, disqualifiziert die Frau zu einem Objekt mit rascher Entwertbarkeit (nicht so, wie die Bilder!), und die Bösen kommen davon. Sprich, gute Ideen, aber teilweise einfallslos. Kinstern bringt vielleicht noch die Überlegung, Anna und Zeppo "davor" zu belauschen, den Tipping Point zu spüren. Die explizite Beschreibung ist dann Standardrepatoire.

Simon Beckett: Voyeur.

Montag, 24. Juli 2017

Der Urknall der Vampirgeschichten

Es liest sich aus heutiger Sicht einigermaßen unspektakulär. Trotzdem lohnt der Rückgriff auf die Urversion des Dracula von Bram Stoker. Hier werden Leitlinien eingeführt, die sich im Vampirkult durch zig Filme und Bücher gehalten haben, die bekanntesten, etwa Sonnenlicht und Knoblauch, die dem fledermausartigen Wesen schaden, Blut als Nahrung, das Kreuz, das Pfählen, den Sarg als Tagesschlafstätte. Aber auch weniger bekannte, beispielsweise die Möglichkeit, Wasser zu überschreiten oder die Unmöglichkeit dessen. Oder die "Fernsteuerung" von anderen Tieren, Wölfen etwa. Ansonsten würde man vom Plot des Buches einen "milden" Actionfilm sehen mit der Verfolgungsjadt per Pferd und Schiff am Ende. Auch das Zusammenschließen einer Gruppe von "Helden" und die wissenschaftliche Herangehensweise an übersinnliche Phänomene kann als Blaupause für viel, viel Popularkultur gesehen werden. Somit: unspektakulär das Werk für sich, aber spektakulär als Vorlage für das zwanzigste Jahrhundert (und folgende).

Bram Stoker: Dracula.

Sonntag, 18. Juni 2017

The Road to everywhere

Ichselbst war zu diesem Buch durch einen Song von Van Morrison gekommen, nämlich "Cleaning Windows", wo auf Jack Kerouac´s "On the road" referenziert wird. Jetzt, nimmt man den Text für sich her, also ohne die Betrachtung in seiner Zeit und seine Entstehung, so ist es eine ohne dramatisches Gerüst zusammengeschusterte Geschichte von Reisen und ein Leben im hier und heute. Jack und Neal teilweise wie Sandler, hauptsache unterwegs, Zusammentreffen und Abschiede, Personen auf der Straße, Neal die Gabe, alles und jedes interessant und toll zu finden: Ja! Ja! Erfahrungen und Eindrücke sammeln, Spaß haben.

Aber in seiner Zeit, nämlich Ende der 1940er, waren die Trips, die dahintersteckende Philosophie natürlich exorbitant bemerkenswert, einerseits als Bruch mit althergekommenen Mustern und Konventionen, andererseits als Blaupause für die 1960er Jahre. Hier wurde das Leben nahe am Sandler und Streuner angereichert mit Musik, Liebe, Spirit (wenn ihr es so nennen wollt) und dem Sog nach Frisco. Und schon haben wir die Hippiebewegung, eine Kulturrevolution in Amerika.

Die Entstehung mit der Papierrolle in weniger als einem Monat abgefaßt hat auch literarische Bedeutung erhalten, der Vergleich mit Jackson Pollock in der Malerei wird gezogen. Der Schreibvorgang als Teil des Kunstwerks, die Rolle ohne Absätze als die Straße.

Jack Kerouac: On the road.

Sonntag, 28. Mai 2017

Ja Nein Vielleicht - wer ist das jetzt

Findet man sich selbst in jedem Buch wieder? Mehr oder weniger bestimmt, manchmal in Teilen, manchmal ringen einem die beschriebenen Ereignisse ein deja-vu ab. In "Ein Spiel und ein Zeitvertreib" haben wir da den Ich-Erzähler, der Dean bewundert und vielleicht auch stellenweise neidisch ist. Dann ist da Dean, der mit Anne-Marie diese grandiose erste Zeit einer jungen Beziehung durchlebt, die rasant beginnt und sich dann noch schrittweise steigert, die nie genug bekommt, die über jedwelche Langeweile, über jeden Argwohn hinweg hilft. Andererseits "stinkt", wie es da heißt, Dean nach Selbstsicherheit, er leidet an permanenter Geldnot und weiß seine Talente nicht zu nutzen.
Ich vermute, es liegt an der Qualität der einzelnen Sichtweisen, die - sich nicht in überbordenden Beschreibungen verlieren - dennoch anregend sind, an den pointierten Nuancen, das man sich in dem Buch wiederzufinden meint.