Donnerstag, 31. Dezember 2020

Das innerste Zimmer der Leidenschaft

Das innerste Zimmer der Leidenschaft ist ein einsamer Ort. Niemand anderes weiß, was in diesem Zimmer abgeht. Das gilt auch und vor allem für Matthias Roth, und selbst als Gisela in einem geisterhaften Moment die "Leere, Stille, Einöde" am besagten Ort vertreibt, melden sich schon wenig später wieder Zweifel an. Das innerste Zimmer der Leidenschaft zu beleben ist etwas, das leider nur aus einer Person selbst heraus erfolgen kann. Feuer und Flamme für jemand oder etwas sein, ist ein großes Geschenk, meinetwegen ein großes Geschenk der Götter. Wielange die Leidenschaft dann lodert, ist noch mehr entscheidend. Bei Matthias Roth tut sie das nie lange. Selbst im Urlaub, im Dschungel, in völliger Auflösung seiner in der umfassenden Wahrnehmung erlischt das Feuer bald wieder. Ist die Leidenschaft also das, was besondere Menschen ausmacht? Und wie fühlt es sich an, wenn sie weg ist? B.B. King hat dieses Gefühl in "The thrill is gone" glaubhaft vertont. Das Schöne wie Schreckliche zugleich ist, dass wir über unsere Leidenschaft nicht herhaben. Schön, weil das Erwachen eine Belohnung sein kann. Schrecklich, wenn wir sie verlieren. Wofür sind Sie leidenschaftlich?

Brigitte Kronauer: Berittener Bogenschütze. Sz-Bibl.Bd.62

Sonntag, 15. November 2020

Wenn divide and conquer scheitert

Dagegen ist männliches Begehren ja langweilig wie eine lineare Funktion, die (monoton langweilig) anwächst und dann entweder Erfüllung findet oder zusammenfällt, um von Neuen (vielleicht an anderer Stelle zu starten). Weibliches Begehren ist etwas, das seit geraumer Zeit unter den Teppich gekehrt wurde, war quasi nicht existent. Später war es klar, dass es so etwas gibt, aber von der Nicht-Existenz führte der Weg zu Fragezeichen. Wenn man nun Lisa Taddeos neues Buch "Three Woman liest", ist man im ersten Moment von der fesselnden, sehr kraftvollen Erzählweise mitgerissen und denkt: okay, das sind besessene Frauen, Ausnahmefälle, zu krass, um in der Breite vorzukommen. Aber wenn man einmal nur den nach außen sichtbaren Teil betrachtet, denkt man sich: zwar auf ihre spezielle Art eigen, aber so eigen, wie irgendwer. Sprich: davon gibt es viele, nur eben mit anderem Begehren. Und es ist auch zu sehen, dass weibliches Begehren viel komplexer, langanhaltender, und damit auch viel intensiver und kräftiger ist, als Männer. (Frau Taddeo sagt ja selbst im Vorwort, dass männliches Begehren nicht viel hergibt.) Lernen kann man aus diesem Buch nichts, außer, dass man nichts lernen kann. Einzige Lektion vielleicht: nur weil ein Mann simpel wie ein Kieselstein denkt, durchschaubar und offensichtlich, muss das für Frauen nicht so gelten. Also: in größeren Bögen denken, kein divide and conquer.

Lisa Taddeo: Three Woman.

Freitag, 16. Oktober 2020

Die Dynamik am A. der Welt

Ein gottverlassenes ein Kaff, denn Christus kam nur bis Eboli, nicht bist Gagliano, mit eigenen Spielregeln, mit seinen Bewohnern, die, zu einem Gutteil Bauern, alles ertragen (manchmal flippen sie halt kurz aus) und wissen, dass der Staat ein Übel ist - so ein Kaff wird gerade jetzt in der Corona Krise wieder interessant. Weil die Städter sind drauf gekommen, dass einem in der Stadt, so alleine in der bescheidenen Wohnhöhle vor dem Bildschirm (oder wiederum in der überfüllten Wohnhöhle, alle vor dem Bildschirm) doch irgend etwas abgeht. Und da kommt die Idee mit dem Homeoffice am A. der Welt, wo es billig Immobilien gibt und ganz viel Landschaft. Irgendwann überschreitet der Städter denn die Jägerzaungrenzen seines neu erworbenen Domizils und trifft auf die Ureinwohner. Wenn der Neo-xyz'ler (xyz=Name des Kaffs) dann gesteht, ein Städter (Wiener, beispielsweise) zu sein, ist er schon in einer Schublade. Er sollte sich deshalb schleunigst mit der gewachsenen Dynamik des Kaffs vertraut machen. Das ist aber garnicht so einfach, denn alle lachen ihm entgegen, und halten mit den ortsüblichen Querelen hinter dem Berg. Aber der Städter kann, mit etwas Geduld, länger aushalten mit beobachten, als die Ortsansässigen mit der Fassade. Güstig wäre, wenn der Städter einen einheimischen Einsager hätte. Dazu der Tipp: Vereine! Vereine sind am Land der Kitt, der nicht nur die Fenster, sondern alles zusammenhält. Blicken wir zurück zu Carlo Levi, dann besteht die Dynamik seines Kaffs, Gagliano, in uraltem Hass, in ausgeprägtem Misstrauen gegen den Staat und in einem Kleinbürgertum, das "eine körperlich und moralisch verkommenen Klasse, die unfähig ist, ihre Aufgabe zu erfüllen, und nur von kleinem Raub und der entarteten Tradition eines Feudalrechtes lebt" (Levi, S.247) darstellt. Heute vermischen sich moderne Einflüsse (kommen digital vom Himmel und durchs Glasfaserkabel) mit den ungeschriebenen Gesetzen der Tradition und des Lebensgefühls Einheimischen auf teils skurrile Weise. Die Frage ist, ob langfristig, getriggert durch Zu- und Abwanderung und den digitalen Einfluss, dieses Lebensgefühl verloren geht und die Kaffs ihre eigene Dynamik verlieren, stattdessen nur mehr Dependance der global vereinheitlichten Großstadte sind. Dann muss man wirklich von den Bäumen abbeißen, denn Eigendynamik gibt es dann keine mehr. Aber vermutlich kommt, angefeuert durch die Coronakrise, ein neuer Regionalismus, einhergehend mit mehr ländlichem Selbstbewusstsein.

Carlo Levi: Christus kam nur bis Eboli. Sz-Bibliothek Bd.61

Montag, 21. September 2020

Corona: des Rätsels Lösung

 Seit Corona im Westen angekommem ist, ist gut ein halbes Jahr verstrichen. Natürlich waren zu Beginn Unwissenheit und Sicherheitsdenken vorrangig. Aber nach einer Zeit war eigentlich zu sehen, etwa an der nicht vorhandenen Übersterblichkeit, dass Corona offenbar nicht so gefährlich ist, dass es die Maßnahmen rechtfertigen konnte. Darüber gehen die Meinungen zwar auseinander, aber seien wir doch mal ehrlich: Abgesehen von der Übersterblichkeit sind die allermeisten Infizierten symptomfrei. Weiters gibt es auch eine, bestimmt nicht zu geringe Anzahl an Infizierten, bei denen die Viruslast so gering ist, dass sie niemanden anstecken können. Die Berichterstattung blendet das alles (wohlwissentlich) aus und wertet jeden positiven Test als gleichwertig. Zudem, um mit Samuel Shem´s "House of God" zu reden: You can´t find a fever if you don´t take the temperature. Man testet offenbar so lange, bis genügend Positive herauskommen. Und weiter findet man z.B. auf ORF.at den (eigentlich sehr wichtigen) Quotienten aus Positive durch Anzahl der Tests nicht.

All das lässt die Vermutung nahe kommen, dass Corona zwar kein reines Konstrukt ist, aber die Schrecklichkeit sehr wohl. Und wenn die Angst geschürt wird, stellen sich zwei Fragen: erstens wer will das, zweitens warum. Das Wer ist nicht so schwer, die "herrschende Elite" ist hier zu nennen, Politik, Institutionen, Medien insbesondere, usw. Interessant ist das Warum. In vielen, eigentlich immer gleichgearteten Gesprächen mit Mrs.Reserveblog, kamen wir auf keinen grünen Zweig. Bis dann gestern...

Die Lösung des Rätsels um das Warum ist nichts Geringeres, als die Neuaufstellung der Wirtschaft, indem man die bisherige gelinde gesagt zerstört. Wieso das? Wer hat davon etwas? Reiche, der Staat? Vorerst nicht, das ist klar. Aber ein kleiner Rückblick in der Wirtschaftsgeschichte beantwortet die Frage, wann es zu (substantiellem) Wachstum gekommen ist, mit zwei Möglichkeiten. Zuerst allerdings: brauchen wir Wachstum? Trotz aller Bemühungen, etwa den Null- bzw. Negativzinsen der Zentralbanken, dümpelte z.B. das BIP Wachstum in den letzten Jahren bei unter zwei Prozent herum. Aussicht auf Besserung bestand nicht wirklich. Damit was weitergeht, lehrt uns die Geschichte, können wir entweder hoffen auf: 

eine technologische Entwicklung, die einen sozio-ökonomischen Paradigmenwechsel hervorruft. Das war zuletzt gegeben durch die weite Verbreitung des Internet mit allen Möglichkeiten Anfang des Jahrtausends und in abgemilderter Form damit, dass als das auch noch mobil wurde, sprich Smartphones und Smart* (* für eh alles, Autos, Kühlschränke, IOT). So eine tolle Erfindung ist aber nicht in Sicht. Bio, Nano, Intelligente irgendwas: es gibt Schlagworte, aber nichts davon greift ernsthaft durch.

Das andere ist Wachstum nach der Zerstörung. Bisher ging immer ein verabscheuungswürdiger Krieg voran, dem dann Aufbau und Wirtschaftswunder folgten. Hier hat die Menschheit (bzw. die Eliten) dazugelernt und macht so etwas nicht (mehr). Und dann tauchte dieses Virus auf, Corona. Nach der ersten Schrecksekunden haben sich dann die Eliten gedacht: das ist jetzt unser Window-of-opportunity! Wir nutzen Corona, manipulieren die Leute, entwickeln daraus Angst, sodass die Wirtschaft, die ohnehin kein Wachstum bringt, zerstört wird. Niemand kommt unmittelbar zu Schaden. Es ist ja kein Krieg mit Waffen, es ist gar kein Krieg, weil ja alle gleich betroffen sind.

Wenn die Wirtschaft dann kaputt ist, können verkrustete Strukturen und Modelle aufgebrochen werden, und der Neuaufbau bringt ein neues Wirtschaften, das digitaler, das effizienter und das (hoffentlich) auch viel grüner ist. Damit kriegen wir sogar den Klimawandel in den Griff!

Diese Idee ist so genial, und die Einigkeit unter den Herrschenden so groß, so einmütig, dass ich mich diesen Artikel (fast) nicht posten traue. Man will diese tolle Idee keinesfalls gefährden. Da diesen Blog aber ohnehin niemand liest, besteht keine Gefahr. Mit dieser Erkenntnis sehe ich jetzt die Corona-Maßnahmen wieder als völlig plausibel und nützlich, vielleicht nicht ganz wegen des Virus, aber wegen der Neuen Wirtschaft! Nie wieder rede ich übel über Politiker: sie müssen Kritik einstecken und tun das auch, damit wir es alle besser haben. Danke dafür.

Montag, 14. September 2020

Ein Strudel aus Gedankenmaterial

 Nimm eine Location, sagen wir Südafrika. Nimm eine längere Zeitspanne, sagen wir Post-WW2 bis in die späteren 1990er Jahre. Nimm wesentliche Veränderung, sagen wir die Abschaffung der Apartheid. Und davor entwickle das Leben einer Person, eines Paares, zweier Paare, Familien, einer Gesellschaft. Das ist ein Kochrezept für Geschichten. Aber wirklich gut machen Details und nachdenkwürdige Fundorte ein Buch. Das kann dann wieder überall liegen, zum Beispiel in der Veränderung, die dann bedingt, dass Exilanten zurückkehren dürfen, dass Revolutionäre plötzlich keinen Job (als Revolutionär) mehr haben. Dass man aus diesen "Schwertern" wieder Pflugscharen macht. Daneben tritt dann an Stelle der Apartheid der Geldrassismus. Hast Du Geld, bist Du dabei. Hast Du keines, geht´s Dir weiterhin schlecht. Ich glaube sogar zu erkennen, dass im Heute des 21.Jahrhunderts sich der Geldrassismus vollständig durchgesetzt hat. Viel fairer ist das auch nicht, leider, und der Ort der Geburt und das Vermögen der Eltern sind so relevant wie früher die Hautfarbe. Andererseits kann man in Nadine Gorimers Buch (Niemand der mit mir geht) auch finden, was es für die bisher privilegierte Seite (sprich Weiße) heißt, wenn sie zu einem gewissen Grad abschichten müssen. Abschichten ist ja ein sehr gegenwärtiges Thema, finde ich. Wäre schon der Klimawandel und globale Gerechtigkeit genug Grund zum Abschichten, setzt Corona noch eins drauf. Später wird man es wissen, jetzt fragt man sich: wann wurde oder wird der Zenith eigentlich überschritten? Sind wir schon in der Abwärtsbewegung, der unfreiwilligen Abschichtung. Freiwillig zum Wohle des Planenten und dessen Inhabitanten wäre besser gewesen. Und jetzt der Bogen zu den Einzelpersonen: Jede und jeder hat auch noch ein ganz persönliches Innen- und Außenleben, das auch noch in Veränderung ist. Etwa dass die Ehemänner (Ben, Didymus) letztlich hinter ihren Frauen zurückstehen und das der Beziehung aber nicht gut tut. Oder ist es viel mehr, dass etwa so etwas wie: "Ben selbst hatte das, was sie zusammen mit seiner Sexualität zu ihm gezogen hatte, seine künstlerische Befähigung, seine Bildhauerei, so leicht aufgegeben" bzw. "Weil ich nicht mit jemanden leben kann, der nicht ohne mich leben kann. (…) Wenn jemand einem soviel Macht über sich gibt, macht er einen zum Tyrannen". Ist das jetzt eine Gretchenfrage: soll man sich für den anderen gar nicht/teilweise/völlig* aufgeben (nicht zutreffendes streichen). Vermutlich sind die Pole nicht zu günstig, wobei ersteres klarer scheint, aber zweiteres unvermeidlicher.

Wie man hier sieht, kann man sich in Büchern dieses Zuschnitts in Gedanken verlieren, die sich wie ein endloser Strudel fortsetzen, mal da, mal dort hin hüpfen.

Nadine Gordimer: Niemand der mit mir geht.

Sz-Bibl.Bd.60

Donnerstag, 6. August 2020

Kein Lercherlschas (Wien 1919)

Krimis, die eher für eine breite Leserschaft geschrieben werden, verwenden oft eine Teilmenge von recht bekannten Handlungselementen (z.B. der Kommissar gerät selbst in Verdacht; er kooperiert mit weniger gefährlichen Bösen,...) und bringen somit nicht viel Neues. Auch die Psychogramme des jeweiligen Kommissars muten auch langsam "fertig" an: man spürt förmlich, wie die AutorInnen versuchen, aus der Menge der Macken, die es so gibt, möglichst skurrile zu kombinieren. (Hier schreit es freilich nach einer Datenbank, welche die beiden Mengen beinhaltet und per Zufall das Gerüst einer Krimi-Kommissar-Relation ausgibt. Umberto Ecos Schriftstellerautomat kommt mir da in den Sinn.)

Wo noch viel geht, ist der weitere Kontext, Charaktäre, Hintergründe, Orte und Zeit. Alex Beer, sie hat hier ein ganz spezielles Kapitel österreichischer Geschichte aufgeschlagen, nämlich die Zeit unmittelbar nach der Niederlage des I.Weltkrieges in Wien. Mit gehörig viel Lokalkolorit (kann es zu viel sein?) und auch sprachlich (der "Lercherlschas" kommt tatsächlich vor) sowie auch in sozialer Hinsicht hat sie sich hier eingearbeitet und nimmt den Leser mit. Natürlich: die Kanalisation Wiens nach Kriegsende, klingt schon nach Dritter Mann, dafür Kriegsverbrechen während des I.Weltkrieges - ist einmal ein Denkanstoß, den man so nicht sofort hat. Etwas abgegriffen auch schon der Rückgriff auf die Offenbarung des Johannes im Titel. Aber gesamt eine gelungene Unterhaltungslektüre.

Alex Beer: Der zweite Reiter.

Dienstag, 28. Juli 2020

Die Wahrheit hört man nicht so gern

Schon wenn man nur die offensichtliche Wahrheit vor Augen gehalten bekommt, hört man das (oft) nicht gern. Was aber, wenn die Wahrheit nur eine von vielen ist oder eine, die erst zur solchen wird und vorerst nur eine Prognose ist. So ergeht es der Kassandra. Ihre Wahrheit der Vorausschau hört niemand gern, und noch weniger glaubt man ihr. Jetzt, in Corona Zeiten, machen Politiker, "Wissenschafter" und die Medien die "Wahrheit". (Übrigens: absichtlich nicht gegendert, denn gegenwärtig relevante Politikerinnen sind ja noch rarer gesät als Wissenschaftlerinnen). Und im krassen Gegensatz zu Kassandra können die Blödsinn labern ohne Ende, sie werden für ihre Fehler nicht beanstandet, sondern man wartet schon auf die nächsten "Wahrheiten". Als hätte Apollon als Fluch ausgesprochen: jede und jeder wird Deine Weissagungen glauben, und sind sie falsch, dann wird das ruck-zuck vergessen, und die neuen Weissagungen werden geglaubt. Nun werden dann aufgrund dieser seherischen Fähigkeiten, gesützt von wenig geschickt verdrehten Zahlenspiralen, Maßnahmen getroffen und den Menschen mit der Maske das Maul gestopft. Aber weil sie auf der Wahrheit basieren, müssen diese ja wohl richtig sein. Und so können wir Troja retten.

Christa Wolf: Kassandra.
Sz-Bibl.Band 59

PS: Übrigens auch ein grandioses Buch, das zeigt, wie lächerlich und verabscheuungswürdig sich Heldensagen ausnehmen, wenn man nur die Perspektive wechselt.

Sonntag, 26. Juli 2020

Ausgewogen, nicht ausufernd

Die Idee, einen Krimi in eine bestimmte Lokation und Zeit zu versetzen, ist nichts Neues. Dass man ein sehr kleines Zeitfenster in einer dunklen Zeit wählt, macht die "Spielregeln" klarer und spannender. Aber wenn dann ein spezieller Kunstgriff (der nicht nur Isaak überraschte) gewählt wird, womit zwei Handlungsströme verschmelzen, kann das schon sehr fesselnd werden. Ausgewogen ist das Buch auch noch, denn mit keinem Aspekt wird länger herumgeritten, als es dem Gefühl des Lesers, der Leserin gut tut. (Manche Autoren sind so stolz auf ihre Idee, dass sie sie überstrapazieren. Das ist hier nicht der Fall.) Auch schwingt ein wenig von "Die Feder besiegt das Schwert" mit, wenn viele Zitate aus der Literatur Isaak einfallen und ihm weiterhelfen. Schöne Unterhaltungsliteratur.

Alex Beer: Unter Wölfen.

Mittwoch, 22. Juli 2020

Die S-Kurve kann eh alles

Kurven spielen in der Erotik klarerweise eine Rolle. Aber diese Kurve? Das hätte man sich wohl nicht gedacht. Hier eine S-Kurve nach dem Schema:
1 K + C e -rx

Wenn wir nun als Inputgröße den Stimulus hernehmen und als Outputgröße die erzielte Wirkung, dann könnte man bei Vina Jackson feststellen, dass der Reiz von Beginn an langsam, aber kontinuierlich gesteigert wird, was dann aber rasant zunimmt und sich dann selbst überholt. Und interessant: Obwohl es dann sehr explizit und ausufernd wird, nimmt tatsächlich die Wirkung ab! Denn offenbar ist der Mensch so gepolt, dass er auf die Veränderung reagiert, spricht die Steigung der Kurve bzw. erst Ableitung, und dann schau das so aus (die grüne Linie):
Und da sehen wir, dass in Wirklichkeit die Wirkung bei Überreizung wieder nachlässt. Offenbar zeigt uns das ein Geheimnis, dass es einen "günstigen" Bereich gibt, um große Wirkung zu erzielen, der aber nicht automatisch in voller Inputleistung liegt. Hierin liegt also die Kunst.

Vina Jackson: 80 days.

Jeder Irving ist der vierte

Ich habe schon länger nichts von John Irving gelesen und jetzt zu "Die vierte Hand" gegriffen. Schon nach ein paar Seiten war ich wieder in eine der skurrilen Welten von Irving eingetaucht. Er verkauft sehr geschickt mit diesen, teils absurden Charaktären und ihren Geschichten, die auch noch "zufällig" zusammentreffen tiefgreifende Themen. Trennungsschmerz etwa, der auf vielfältige Art erlebt werden kann, körperlich, wenn einem jemand die Hand abbeißt. Aber auch seelisch, durch Verlust, Trennung, räumliche Distanz mit Unsicherheit. Wenn dann die Trennung überkommen wird, dann auf Irving'sche Art. Die dritte Hand, die vierte Hand. Am Ende zieht sich all das ein wenig hin und die Läuterung von Wallingford braucht Zeit und Seiten. Insgesamt ein heiteres, gut geschriebenes Lesevergnügen.

John Irving: Die vierte Hand.

Sonntag, 5. Juli 2020

Immer nur das Richtige machen reicht auch nicht aus

Ist das ein übler Zug, wenn sich eine Person A aufopfert, alles macht, um eine andere Person B voranzubringen, glücklich zu machen, aber im Endeffekt entscheidet sich die Person B, nachdem der Erfolg durchgeschlagen hat, für eine Person C (mit anderen Qualitäten, Geld, Aussehen, Status). Wäre es als Belohnung nicht angemessen, wenn Clara (A) den Dirigenten Edwin (B) bekommen hätte? Andererseits macht Clara das ja freiwillig, und der Preis ist nicht vorweg ausgemacht. Das ist freilich nur eine Erzählung von Urs Widmer. Aber kommt uns dieses Schema nicht doch bekannt vor? Warum kommen solche fleißigen Mädchen, solche guten Zuhörer und Tröstermänner meist doch nicht zum Zug? (Man hört hier am Lande immer die Mütter und potentiellen Schwiermütter sagen: ich versteh nicht, warum der keine bekommt, der is ja so kommod. Und fleißig.

Vielleicht ist es, weil sie zu einfach zu haben sind. Was nichts (keinen Aufwand) kostet, ist nichts wert. Aber vielleicht bequem. Edwin war nicht bequem (sonst hätte er sich das anfängliche Theater als Dirigent nicht angetan). Er war zielstrebig und hat die Millionenerbin gewählt. Clara hat das nie überwunden.

Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter
Sz-Bibl.Band 58

Samstag, 30. Mai 2020

Jetzt steigere dich nicht so hinein!

Das ist jetzt irgendwie eine Gretchenfrage. Soll man sich in etwas hineinsteigern? Oder doch nicht? Wann ist es Zeit, die Niederlage anzuerkennen, den Verlust zu realisieren. Gibt man vorschnell auf, oder ist man unnötig verbissen und blockiert sich selbst. Eine durchaus nicht leicht zu beantwortende Frage und auch eine solche des Tempraments. Ein Beispiel dafür, was rauskommt, wenn man keinesfalls zu weichen bereit ist, liefert Simon Beckett in "Obsession". Der eine besessen, der andere besessen. Natürlich überspitzt, aber in milderer Form durchaus gängig, eben Sorgerechtsstreit, Nachbarschaftsstreit, Hickhack und Befindlichkeiten in der Verwandtschaft. Und dann wird Energie verschwendet in jeglicher Hinsicht und die Leute blockieren sich selbst. Wie kommt man aus dem Deadlock raus? Wenn vor und zurück nicht geht, heißt das Zauberwort "orthogonal", frei übersetzt mit "etwas anders machen". Die Helden bei Beckett konnten das nicht, sonst wäre der Spannungsbogen eingeknickt. Aber in echt, immer eine gute Idee, im Denken eine andere Richtung auszuprobieren. Tut auch nicht weh.

Simon Beckett: Obsession

Freitag, 8. Mai 2020

Leichte Kost

Nicht dass ich beurteilen könnte, ob die Küche Sri Lankas leichte Kost ist. Man bekommt Lust drauf bei diesem Buch. Aber der Roman selbst, Martin Suters "Der Koch" ist schon leichte Kost. Irgendwie hat der gute Suter zu viele Zutaten vermischt, aber jeweils zu wenig davon, dass ein Geschmack draus werden könnte. Flüchtlingsschicksal, Lesbe, die bekehrt wird und dann doch nicht, die Zauber und Wirkung der Kochkünste (das Parfum ist mir da gleich eingefallen), politische Verflechtungen, das Escort-Business und so weiter. Material für tausend Seiten. Von allem nur eine Kostprobe, na, wenigstens wird man nicht dick dabei. Witzig auch, dass die Story (der Roman stammt aus 2010) die letzte Krise (2008 Sub-Prime) wieder aufleben lässt. Jetzt die neue Krise, na, da wird uns auch noch ein Buchregen erwarten. Mal sehen, was es bei mir ranspült.

Sonntag, 3. Mai 2020

Die Rennaisance der Romantik

Wenn man jemanden fragt, was "romantisch" im geistesgeschichtlichen Sinne meint, kann man als Antwort kriegen: "So wie es in den Romanen ist", romanhaft. Das gibt dann vorerst relativ wenig her. Mir ist jetzt eine Klärung untergekommen; romantisch könnte man das Verhalten, die Psyche, die Gefühlswelt von Maria Stuart in Stefan Zweigs Buch (auch ein Roman!) nennen. Frau Stuart, die schottische Königin, handelt oft vorschnell, oft "unlogisch" und dem ersten Gefühl nachgebend, während Elisabeth I. bedacht, überlegt und vorsichtig, oftmals auch unsicher (Kapitel "Elisabeth gegen Elisabeth") ist. Gewonnen hat zumindest formell (länger gelebt, Macht erhalten) Elisabeth. Ihre Epoche war auch der Auftakt zu rational-wissenschaftlichem Handeln, was zu unerhörtem Fortschritt führte - und die fortschrittlichsten Nationen haben inzwischen die weniger fortschrittlichen unterjocht. Man kann sagen, dass Fortschritt (technisch insbesondere) mit Wohlstand gleichzusetzen ist. Romantisches Verhalten, ritterliches, nicht durchkalkuliertes hat sich als zweite Wahl herausgestellt. Aber zwei Dinge sind schon interessant. Nehmen wir Personen wie Steve Jobs her, der Apple zu einem wichtigen Teil zu dem gemacht hat, was es ist. War er so erfolgreich, weil er nur rationell entscheidete? Handelte er vielleicht auch an wichtigen Stellen "romantisch" im Sinne Maria Stuarts? Ist es diese gezielte Verunreinigung von straight-forward Denken, das die Ausnahmetalente von braven, aber phantasielosen Experten unterscheidet? Ist es vielleicht ein bißchen weniger technokratisches Denken, das nötig wäre, um die Herausforderungen der Gegenwart zu meistern. Phantasie und nicht nur Logik, orthogonales Denken und nicht nur lineare Weiterentwicklung, das wäre gefragt, vielleicht auch wieder Bauchgefühl und Intuition als Ratgeber zulassen (schlechter als so manche "expertengestützte" Entscheidungen von Politikern kann es auch nicht immer sein). Elisabeth mag gewonnen haben, aber vielleicht brauchen wir jetzt eine Renaissance von Romantik, Mut zum Ungewissen.

Stefan Zweig: Maria Stuart.
Sz-Bibl.Band 57

Samstag, 18. April 2020

Corona Virus-Krise-Panik-Hysterie-Farce

Ich muss es zugeben, zu Beginn fand ich den Umgang mit Corona in unserem Land sehr professionell und zielführend. Man hat effektiv (und erfolgreich) dem Schlimmsten vorgebeugt. Und alle haben brav mitgemacht. Aber mittlerweile finde ich anhand der Zahlen und dem Umgang mit dem Virus (Abstand, Masken) die Maßnahmen für überzogen. Unter 4000 Fälle in Österreich. Die Wahrscheinlichkeit beim Baumarkt ums Eck einen Corona-Kranken anzutreffen ist verschwindend. Außerdem: eh alle Masken. Zur Farce wird das Ganze, wenn die Öffnungen (und Nicht-Öffnungen) einzelner Bereiche nicht nachvollziehbar sind. Bau- und Gartenmärkte sind offen und waren heute vormittag extrem gut besucht, während der Parkplatz beim Einrichtungshaus vor Leere gähnte. Bei Schulen überlegt man die Öffnung, die Universitäten bleiben aber bis Ende Juni zu (ich dachte immer, Kinder wären die, die in der großen Pause auf Tuchfühlung gehen, nicht Studierende). Leider ist vor lauter Corona-Angst bei der Bevölkerung und bei den Medien wirde Stimme gegen die Linie ignoriert (im besten Fall).

Corona - das schweizer Taschenmesser der Gründe

Wir manövrieren uns jetzt in eine Situation, wo Corona als Begründung für alles herhalten kann. Ich höre schon Leute in Jahren sagen: klar, dass der Hansi bei der Matura Probleme hat, denn mit Corona hat er ja (+Übertreibung) ein ganzes Jahr verloren. Corona ist Schuld an meinen ... (zutreffendes ankreuzen oder Freitextfeld nutzen).

Daher jetzt: maximale Öffnung mit maximaler Sicherheit.

Mittwoch, 8. April 2020

Was leichtes auf´d Nacht

Also habe ich mir aus der Bücherei noch einen Nikowitz mitgenommen, den zweiten, Nachtmahl. Beim Lesen keimte rasch der Verdacht auf, dieser Autor könnte ein Journalist sein. (Darüber habe ich schon mehrfach geschrieben) Die hohe Dichte an Schmäh, Wortwitz, atemlos viel, und teils eh wirklich nicht schlecht, und massentauglich, das riecht nach Journalist auf Abstecher ins Schriftstellermillieu.
Insgesamt leichte und unterhaltsame Kost, gerade recht wenn man in Corona-starre befindlich Zeit für sowas hat.

Rainer Nikowitz: Nachtmahl.

Mittwoch, 1. April 2020

Tell me lies

Ewig währt am Längsten, heißt es. Sollen wir das glauben? Hätten Maciek und Tanja nicht gelogen, wo es ging, wären sie nicht lange gewährt, sondern weg gewesen. Wie ist das überhaupt mit der Wahrheit. Früher, klar, da wusste "man" ja nichts. Allenfalls vom Hörensagen, Grapevine quasi. Heute, alles digital, rasent schnell, sofort Bilder, überall Bilder. Und das ist dann die Wahrheit? Die Wahrheit ist, heute lässt sich digital alles fälschen, alleine die Auswahl kann schon ver-fälschen. Überlegen sie mal, wieviel, von dem was Ihnen aufgetischt wird, sie noch selbst in der Realität nacherfahren? Aber ist es nicht so, dass die virtuelle Welt auch Teil der tatsächlichen Lebenswelt heute ist? Dann wird die digitale Lüge eigentlich wahr, die kleine wie die große, wenn sie nur genug teilen. So wie am Ende bei Louis Begley, wo an Macieks Stelle jemand anderer Tritt, die wahr gewordene Lüge.

Louis Begley: Lügen in Zeiten des Krieges.
Sz-Bibliothek Bd.56

Corona: Plan B

Gleich vorweg, Sie werden mit mir schimpfen, wie ich auf eine so verrückte Idee komme. Und umgesetzt, diese Gefahr ist auch nicht da, wird sie nämlich genau so wenig wie meine Idee, das Klima zu schützen, indem man die Geschwindigkeit auf 100/80/30 senkt (Autobahn, Freiland, Ortsgebiet). Also, hier der Plan B für Corona:

Die Voraussetzungen:

(1) Corona ist sehr ansteckend, ohne Schutz in einem Raum sein reicht schon aus.

(2) Corona wird früher oder später (laut Experten) etwa 70% der Bevölkerung treffen.

(3) Die Auswirkungen von Corona sind für bestimmte Personen ("Gefährdete") sehr bedrohlich. Gefährdete sind ältere Personen (ab 65 Jahren, war mal wo zu lesen) und chronisch Kranke. Man liest, dass der Durchschnitt der Corona-Opfer bei 80 Jahren liegt (entspricht der allgemeinen Lebenserwartung). Unter 60 war zum Stand der Dinge niemand, der nicht entsprechend vorgeschädigt war, der Krankheit zum Opfer gefallen.

(4) Junge (eher: nicht alte) und gesunde Menschen haben i.d.R. einen milden Verlauf und können das daheim ausstehen wie eine Grippe.

(5) Es besteht die Gefahr, dass das Gesundheitssystem überlastet wird, da zu viele Gefährdete krank werden und stationäre Hilfe brauchen.

Der "Plan B" wäre nur nicht nach der Idee, alle zu separieren, sondern, die Risikogruppe mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu schützen (=zu isolieren). Pensionisten müssen ja ohnehin nicht um ihr Einkommen fürchten. Chronisch Kranke werden von ihren Verpflichungen schadlos entbunden. Sie werden ebenfalls durch Isolation geschützt. Der Staat sieht weiter Unterstützungen dort vor, wo Gefährdete zur Kinderbetreuung fehlen (sprich Omas und Opas). Und der Rest kann sich am Virus abarbeiten, wodurch dann die viel beschworene Herdenimmunität erreicht wird. Um die Verbreitung nicht zu befeuern, werden in allen möglichen Lebenslagen Schutzmasken getragen. Auch beispielsweise in Schulen, Büros oder Betrieben. Damit könnte man den Lockdown lockern - Bereiche, die nicht dringend notwendig sind (Flugreisen, Großveranstaltungen,..) bleiben weiter eingeschränkt.

Denn die Wirtschaftskrise, die wir uns jetzt alle holen, wird noch Jahre lang Auswirkungen haben. Sparpakete (wo? die üblichen Verdächtigen: Gesundheit, Bildung) werden nämlich auch ihren Tribut fordern, damit die jetzt angeschlagenen Staatsfinanzen wieder auf Gerade gebogen werden.

Aber wann hätte schon jemals wer auf mich gehört.

Mittwoch, 25. März 2020

Die Tyrannei des Digitalen

Ich bin kein Fan von Science Fiction. Ein bißchen Zukunftsmusik oder ein wenig zu viel Zufall, gerne, dafür ist Frank Schätzing auch ein Autor, den ich Schätze. Die Tyrannei des Schmetterlings kam mir stellenweise eher wie die Tyrannei von siebenhundert Seiten vor. Zeitreisen, Paralleluniversen, monströse Killerinsekten, eine durchgegangene KI und dann die eigenartige Szene bei der Flucht aus PU453 (in die "Kristallwelt"). Schade um so ein Thema. Denn KI (künstliche Intelligenz) bzw. Big Data und all die Geschwister ist neben dem Klimawandel sicher jener Bereich, der uns noch viel Ärger bereiten könnte. Ob wir dabei wie im Buch Ares oder unser unvergesslicher HAL9000 von einer KI, die "zum Leben erwacht" und sich verselbständigt bedroht sind oder schlichtweg von der Tatsache, dass immer mehr Vertrauen "in das Digitale" gesteckt wird und man sich damit endlos abhängig macht - sei dahingestellt. Auf jeden Fall verschlingt "das Digitale" schon jetzt unerhörte Mengen an Zeit, sodass man schon manchmal den Eindruck kriegt: die KI braucht garnicht schlauer werden, die Menschen werden vom Denken abgehalten, und dadurch entsteht dann der Gap. Ach so, Sie fragen, wie ich diese Zeilen hier tippe. Oje, erwischt...

Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings.

Dienstag, 10. März 2020

Das Glück geglückt?

Ingo Schulze, das klingt jetzt nicht gerade russisch. Ist er auch nicht. Aber die Geschichten in seinen "33 Augenblicken", die klingen glaubhaft russisch. Ein bißchen verrückt, manchmal undeutlich, worauf sie hinaus wollen, und natürlich sind sie alle im Brackwasser zwischen Sowjetunion und was dann auch immer kam. Das "Glück" verbirgt sich in den 33 Geschichten mal mehr, mal weniger. Suchen muss man es sowieso immer. Kann glücken!

Ingo Schulze: 33 Augenblicke des Glücks.
SZ-Bibliothek Band 55

Freitag, 28. Februar 2020

If you believe (they put a man on the moon) - mit Rechenaufgabe

Ich bin gewiss kein Fan von Science Fiction (double feature). Von Zukunftsgeschichten noch weniger (außer sie heißen Back to the future). Aber ich bin ein Fan von Frank Schätzing. Also Limit, der 2009 erschienene 1300-Seiter. Der Roman spielt in so einer knappen Zukunft, dass wir sie schon fast eingeholt haben (nämlich 2025), aber von dem angekündigten Weltraumfahrstuhl ist nichts in Sicht. Julian Orley aus dem Roman, der natürlich niemand anderes als Richard Branson nachgeahmt sein kann, war da eben schon weiter, als sein "Ori". Zukunftsromane haben für mich immer die Schwierigkeit, dass die Spielregeln klar genug sind. Bei einem Gegenwartsroman oder einer Story, die in der Vergangenheit spielt, kennen wir die "Regeln", was geht, was geht nicht. Freilich, man kann ein bißchen "aufrunden", so wie es der gute Marc Elsberg macht. Aber Zukunft? Was können Computer in der Zukunft? Welche Gadgets gibt es? Welche Knarren? Vor allem realistisch anmutende Szenarien sind schwer zu schreiben. Aber Schätzing wäre nicht Schätzing, hätte er nicht umfangreich recherchiert und das Plausibelste dargestellt, was der Stand der Wissenschaft hergibt. Auch zu lernen gab es einiges, wie immer bei ihm. Was wissen wir schon über den Mond, außer das, was 1969 in einem Studio in Hollywood gedreht und dem Rest der Welt als Mondlandung an-ge-dreht wurde? Mit Schätzing wissen wir schon mehr, über die Mare, die verringerte Schwerkraft, die Oberflächenbeschaffenheit und Helium-3, das es wirklich gibt. Also akzeptieren wir die Regeln und glauben an den Mann im Mond.

Aha, ich hatte Euch eine Rechenaufgabe versprochen.
Auf Seite 379 stürzt die Figur des Grand Cherokee Wang 500 Meter in die Tiefe von der Achterbahn am Dach des World Financial Center Shanghai.
Auf Seite 889 wird die Figur des Pilots Peter Black am Mond 1000 Meter in die Tiefe des Cobra Heads am Vallis Schröteri.
So, falls also Ihr Familienname mit A-L beginnt: Berechne, wieviele Seite zwischen den beiden Ereigenissen im Buch liegen.
Falls der Familienname mit M-Z beginnt: Berechne die Aufprallgeschwindigkeit in m/s, wenn man davon ausgeht, dass die Erdbeschleunigung 9,81m/s^2 und die Anziehungskraft des Mondes eine Beschleunigung von 1,62m/s^2 hervorruft.

Lösung: (a) Zwischen Seite 889 und 379 liegen 509 Seiten (380 bis 378), weil "dazwischen"!

(b) Wir rechnen: v(t)=s'(t) und a(t)=v'(t) wobei v...Geschwindigkeit, s...Weg, a...Beschleunigung.
Da a(t) konstant ist, erhalten wir als unbestimmtes Integral für s(t)=a/2*t^2. Wir setzen 500m=9,81/2*t^2 und lösen nach t^2=500*2/9,81, ziehen die Wurzel aus 101,94 und erhalten t=14,28Sekunden (also die Flugzeit für Cherokee, wenn man den Luftwiderstand ignoriert). v(t)=a*t=9.81*14,28=140m/s, also 504km/h. Naja, da sollte man schon den Luftwiderstand einbeziehen. Egal, Peter Black hat keinen Luftwiderstand. Bei ihm gilt 1000m=1,62/2*t^2, und er fliegt 35,1 Sekunden. Er erreicht "nur" 56,9m/s, also 204km/h.

Montag, 20. Januar 2020

Schätze Schätzing

Was ich an Frank Schätzings Büchern schätze? Er tigert sich kompromisslos in seine Arbeit hinein, scheut keinen Aufwand, sich in eine Materie, in ein Thema einzuarbeiten. Und dann liefert er ab, Bücher die eben nicht sind wie das sprichwörtliche Schweizer Messer (kann alles, aber nichts gescheit). Diese Bücher - wie diesmal "Breaking News": kann Familiensaga, kann Zeitgeschichte, kann Thriller, kann Geopolitik - diese Bücher sind angetan, einem die eine oder andere halbe Stunde Schlaf zu rauben. Tausend Seiten die man gerne liest. Mit Breaking News kann man Israel und den Nahostkonflikt detailreich kennenlernen. Mir geht es dann so, dass ich Wiki öffne, und verschiedene Dinge nachlese, weil ich mehr wissen will.

Frank Schätzing: Breaking News.